Erster Einsatz als Offizier 

mit der "Hansa Liberty" nach Fernost

 

Im August 2008 war es endlich so weit. Alle Prüfungen bestanden, die Diplomarbeit erfolgreich verteidigt und alle bürokratischen Hürden der Patentausstellung waren genommen. Nun sollte es los gehen. Als 3. Offizier mit dem Containerschiff "HANSA LIBERTY" in den mittleren Osten und von dort aus nach Südostasien und Fernost. Nach einigen Verzögerungen ging es am 31.08. endlich los. Mit dem Flieger ab Berlin nach Dubai. Dort dann Überraschung: das Schiff ist noch nicht da. Also geht es erst einmal ins Hotel. An Bord dann vielleicht morgen. Diesen Satz sollte ich allerdings noch mehrmals hören, denn ich blieb insgesamt 6 Tage in Dubai. Einerseits sehr schön, denn so konnte ich mir die Stadt ein wenig ansehen. Andererseits macht das ohne das entsprechende Geld zum Shoppen auch nur begrenzt Spaß. Zumal man ja die gesamte Zeit auf Abruf war, also innerhalb einer Stunde bereit zum Abholen durch den Agenten sein musste. Dieser kam dann am 06.09. nachts um 01:30 tatsächlich mit der Nachricht, das Schiff sei eingelaufen und es gehe jetzt an Bord.

Tag 1 – Hafen von Jebel Ali (U.A.E.)
Gegen 3 Uhr morgens, nach etlichen Passkontrollen und sonstigen Zwischenstopps sehe ich das Schiff zum ersten Mal. Zusammen mit dem Elektriker, der auch hier einsteigt, werde ich vom Shuttlebus an der Gangway abgesetzt. An Bord freundlicher Empfang. Ich bekomme erst mal eine leere Kammer um etwas zu schlafen, nach dem Frühstück dann alles weitere.

Ab 8 Uhr dann Einweisung in alles mögliche durch den bisherigen 3. Offizier: Sicherheitsausrüstung, Brücke, Deck, Papierkram, Ballastrechner, Ladungsrechner, Stores, Crew, Ladeplan, ... mir schwirrt der Kopf. Alles halb so schlimm, tröstet mich der 2. Offizier, er und Chiefmate würden mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Um 18 Uhr wird es dann ernst. Meine erste Ladewache beginnt. Mein Vorgänger ist gerade vom Agenten abgeholt worden. Ich sitze mit Walky Talky und Ladeplan bewaffnet im Ladebüro und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich keine Ahnung habe. Beim Ballasten hilft mir Chiefmate. Die Matrosen an Deck sind zuverlässige und gute Leute. So gibt es zum Glück keine größeren Probleme und ich kann mich bis Mitternacht durchwursteln.

Tag 2 – Auf See, Straße von Hormus
Meine erste Seewache. Es ist bereits stockdunkel. Viel Verkehr, vor allem Tanker. Ich habe Glück mit dem Radar und der ECDIS, denn beides sind dieselben Geräte, wie ich sie von der MIR her kenne. Wenigstens hier brauche ich keine Knöpfchenkunde mehr zu lernen. Die Seewache geht mir gut von der Hand und auch der Kapitän ist anscheinend davon überzeugt, dass ich das Schiff nicht gleich auf die nächste Untiefe setze. Jedenfalls verlässt er nach einer Stunde die Brücke und lässt mich alleine fahren. Als Unterstützung habe ich einen AB als Ausguck und unsere Praktikantin, die allerdings nicht sehr nützlich ist. Erstes Praxissemester und erst seit 2 Wochen an Bord, steht sie meist nur irgendwie rum und weiss nicht recht, was sie tun soll.

Tag 4 – Hafen von Karachi (Pakistan)
Es ist 21:00 Uhr und wir haben gerade festgemacht. Die Immigration ist in Anmarsch. Als 3. Offizier gehört zu meinen Aufgaben, den Kapitän bei der gesamten Papierarbeit zu unterstützen. So habe ich die entsprechenden Unterlagen, Listen, und Papiere zusammengestellt:

•    15 Crewlisten Arrival
•    3 Crewlisten Departure
•    3 Maritime General Declaration Arrival
•    3 Maritime General Declaration Departure
•    2 Arrival Report Pakistan Form
•    2 Departure Report Pakistan Form
•    3 Crew Effects Declaration
•    3 Ship Store Declaration
•    3 Ports of Call Lists
•    3 Nil Lists
•    3 Lists of German Licences for Officers and National Liceneces for Crew
•    3 Lists of Ship’s Documents (Pakistan Form)
•    1 International Health Declaration with attached Crew list, vaccination list, ship sanitary control excemtion certificate copy
•    je 2 Fotokopien von den Pässen aller Crewmitglieder
•    Die Originale der Patente aller Offiziere
•    Die Originale der Zertifikate aller Ratings
•    Die Originale aller Schiffspapiere

Gegen 01:00 Uhr morgens ist der Zauber dann endlich vorbei. Nach einem Feierabendbier geht es in die Koje. Morgen früh um 6 Uhr ist wieder Ladewache...

Tag 9 – Auf See, Malakka Straße
Inzwischen habe ich mich etwas eingewöhnt und mir einen halbwegs regelmäßigen Tagesablauf angewöhnt: 07:30 Aufstehen, frühstücken, 08:00-12:00 Wache, 12:00 Mittagessen, 12:30-14:30 schlafen, 15:00-17:00 Maintenance (Sicherheitsequipment) oder Schreibarbeiten, 17:00-17:30 Abendessen, 17:45-18:15 Chiefmate ablösen, damit er essen gehen kann, danach lesen, sonnen oder Video gucken, 20:00-24:00 Uhr Wache, danach ein Feierabendbier und ab in die Koje.

Auf Grund der in dieser Gegend häufigen Piratenattacken gehen wir Piratenwachen. Das heisst, dass ich auf beiden Brückennocken je einen Matrosen mit Suchscheinwerfer postiert habe. An Deck sind Feuerlöschschläuche ausgelegt und angeschlossen. Ob das im Ernstfall etwas bringt, bleibt dahingestellt. Der größte Schutz ist eine hohe Geschwindigkeit, so dass ein an Bord kommen möglichst schwer gemacht wird. Dazu Fischer, viel Verkehr und Sandbänke mitten im Verkehrstrennungsgebiet.

Tag 11 – Hafen von Singapur
Womit habe ich das verdient: gerade mal 10 Tage an Bord und schon ein internes Audit. Damit die Freude an der Arbeit nicht zu groß wird, bekomme ich erst mal erklärt, was ich bisher falsch gemacht habe und wie ich es in Zukunft besser machen muss. Deutlich erschüttert sitze ich 1 Stunde später im Ladebüro. Chief Mate verordnet mir erst mal Landgang, damit ich wieder auf gute Gedanken komme. Abends erfahre ich dann, dass wir alle unser Fett weg bekommen haben und jeder ist grummelnd dabei, die Verbesserungsvorschläge aus der Reederei umzusetzen. Nach dem Auslaufen und der Wache treffen sich dann alle, die frei haben beim Chief Engineer zu einem kleinen Umtrunk und danach sieht die Welt auch wieder besser aus.

Tag 14 – Auf See, Strasse von Taiwan, Taifun Hagupit
Fischer ohne Ende. Das Radar sieht aus, als wenn es die Pocken bekommen hätte. Mindestens 100 Ziele auf einmal – die Hälfte davon auf Kollisionskurs. Chief Mate übergibt mir die Wache mit der Bemerkung, es sei nicht so schlimm, ein paar von den Fischern zu versenken, es wären schließlich immer noch genügend übrig... Ich versuche, einen Weg zwischen den kleinen Booten hindurch zu finden und wünsche mir, ich hätte mich mit dem Trialmanöver auf diesem Radargerät eher vertraut gemacht. Als sei das alles nicht schon schwierig genug, kommt uns auch noch ein Taifun auf den Pelz. „Hagupit“ wartet auf der anderen Seite von Taiwan. Wir hoffen, schneller zu sein und vor ihm durchzulaufen. Dennoch bekommen wir reichlich Seegang und vor allem eine hohe Dünung mit.


Tag 18 – Hafen von Pusan (Süd-Korea)
In Pusan erwartet mich einen komplette Überholung der gesamten Sicherheitsausrüstung. Als Safety Officer soll ich das Ganze managen. Trotz aller Vorbereitung werde ich von den anrückenden Teams verschiedener Firmen geradezu überrollt. Zumal ich die Leute nicht verstehe. Die behaupten zwar, Englisch zu sprechen, aber mir kommt das doch eher chinesisch vor. Dazu noch Ladewache und ein partieller Crewwechsel. Nach 27 Stunden permanentem Einsatz falle ich am anderen Tag nach dem Auslaufen und anschließender Seewache erschöpft in meine Koje.

Tag 19 – Auf See, Ostchinesisches Meer
Wir sind auf dem Weg nach Shanghai. „Hagupit“ haben wir abgehängt, aber jetzt kommt uns schon der nächste Taifun auf den Hals. „Jangshmi“ beschert uns Gewitterböen mit monsunartigen Regenschauern. Die Fischer haben sich weitgehend zurückgezogen. Dennoch ist viel Verkehr und im Radar sind vor allem die Regenechos, aber nicht unbedingt die darin versteckten Schiffe, zu sehen. Als dann während meiner Wache direkt neben dem Schiff ein Blitz in die See einschlägt und schlagartig beide Radars, GPS und ECDIS abstürzen, ich aber weiterhin mit 20 kn Fahrt und Sicht Null weiter auf die anderen Schiffe zu fahre, hoffe ich nur, dass die mich sehen und keine Kurswechsel machen, bis ich die System wieder hochgefahren habe. Kapitän und Chiefmate, die ich zur Hilfe rufen will, sind nicht in ihren Kammern und ich denke nur: ICH WILL WIEDER IN DIE OSTSEE!

Tag 20 – Auf See, 95 sm östlich Shanghai (China)
Es wird nicht besser. Je dichter wir an China kommen, desto chaotischer wird der Verkehr. Die KVR scheint hier vollkommen unbekannt zu sein. Lieber brüllt man sich auf chinesisch über Funk an. Als ein ausweichplichtiger Frachter offentsichtlich meint, 3 Kabel vor meinem Bug passieren zu müssen, ziehe ich den Telefonjoker und rufe den Kapitän zu Hilfe. Dieser sieht sich die Sache ein paar Minuten an und fackelt dann nicht lange, sondern fährt einen Vollkreis über Steuerbord. Dies sei schon das 2. Mal innerhalb von 2 Tagen, erzählt er später. Kurz hinter Pusan war es in der Wache des 2. Offiziers zu einer ähnlichen Situation gekommen.


Tag 23 – Auf See, Strasse von Taiwan
Schon wieder ein Taifun. Diesmal sogar ein Supertaifun. Und diesmal können wir ihm auch nicht entgehen, denn er erwischt uns genau im Nadelöhr Taiwanstrasse. Mit achterlichen Winden von 11 Bft kommen wir ins Surfen und das Schiff beginnt erheblich zu rollen. Mein mitgebrachtes Script zum parametrischen Rollen wird mit großem Interesse gelesen. Da eine Kursänderung nicht in Frage kommt, reduzieren wir die Fahrt, was etwas, aber nicht viel, hilft.

Tag 24 – Auf See, Südchinesisches Meer
Nachdem sich das Wetter in den Abendstunden etwas beruhigt hatte, werde ich am Morgen erneut vom heftigen Rollen am Schlafen gehindert. Kaum zu glauben, aber das nächste Tief hat sich über Nacht zum tropischen Wirbelsturm entwickelt. Sein Zentrum ist ca. 100 sm westlich von uns. Der einzige Vorteil von diesem Mistwetter ist, dass die Fischer alle zu Hause bleiben.

Tag 26 – Singapur
Einlaufen und Auslaufen in meiner Wache. Die Ostansteuerung von Singapur ist eine echte Herausforderung. Der Kapitän kommt zwar nach oben, übernimmt aber nicht die Wache, sondern lässt mich machen. Der Lotse kommt erst relativ spät an Bord, so dass wir den Terminal schon sehen können als ich endlich die Verantwortung abgeben und mich nach unten auf Manöverstation begeben kann. Beim Auslaufen, dann eine ähnliche Situation: Schiff losschmeissen, auf die Brücke kommen. Lotsen abgeben und gleich darauf ein freundliches „na dann mach mal weiter“ vom Kapitän. Und dann erneut die Malakkastraße...

Tag 40 – Reede von Khawr Fakkan
Die erste Rundreise ist beendet. 12.500 sm sind zurückgelegt seit ich an Bord bin. Die Überfahrt von Singapur war die reinste Erholungsreise. Das Wetter herrlich, wenig Verkehr, keine technischen Probleme, keine nervigen Inspektoren oder ähnliche Plagegeister. Dafür Swimmingpool, Sauna, Grillfest, Wale, Delfine und eine herrliche Fahrt entlang der Küste von Sri Lanka.

Soweit der Reisebericht von den ersten Erfahrungen als Wachoffizier. Insgesamt machte ich 3 Rundreisen und blieb etwas über 4 Monate an Bord. Aus anfänglicher Unsicherheit wurde zunehmend Routine, wie das ja auch sein soll.


B. Beuse, Januar 2009