…Kapitän sein, dagegen sehr!
M/S
„MARC-ANDRÉ“ 16.6.-29.10.2013
Prolog
„Frau Beuse, könnten
Sie sich
denn vorstellen, demnächst auch als Kapitän bei uns
zu fahren?“ fragt
die Stimme meines Reeders aus dem mir
vom Kapitän der „ANDRÉ W.“
zugereichten Bordhandys. Mit Kloß im Hals bejahe ich
die Frage. Das, wovon ich so lange geträumt hatte,
wofür ich die Mühen von
Studium und mancher nicht einfachen Fahrtzeit auf allen
möglichen Schiffen auf
mich genommen hatte, ist nun tatsächlich in erreichbare
Nähe gerückt. Es würde
demnächst eine Kapitänsstelle in der Reederei frei
und wenn ich denn wolle,
könne ich diese bekommen. Bis dahin solle ich meinen
derzeitigen Aufenthalt als
Chiefmate an Bord der „ANDRÉ W.“ nutzen,
mich in alle Aufgaben des Kapitäns einzuarbeiten
und vor allem das Manövrieren zu üben.
Heiner,
der Kapitän der „ANDRÉ
W.“ setzt den Plan dann auch gleich in die Tat um und
erklärt mir, dass ich ab
sofort alle Manöver fahren soll und er mir mit Rat und
notfalls auch Tat zur
Seite stehen werde. Und so beginne ich, darüber nachzudenken,
wie ich denn das
Schiff von der Pier ab und in das Fahrwasser hinein gedreht bekomme.
Wir sind
in Kaskinen/Finnland. Es ist Winter und alles ist vollkommen vereist.
Wir haben
einen Lotsen dabei, der das Manöver mit mir zusammen
durchführen wird. Und das
Schiff verfügt über sehr gute
Manövriereigenschaften, denn es ist mit
Verstellpropeller und kräftigem Bugstrahler ausgestattet.
Alles geht gut. Am
Ende war es gar nicht so schwer.
Nach
einigen sehr intensiven
Wochen an Bord der „ANDRÉ W.“ und 3
Monaten Urlaub ist nun der Moment gekommen,
wo ich tatsächlich das Kommando auf einem Frachtschiff
übernehmen soll. Es
handelt sich dabei um die „MARC-ANDRÉ“,
einem 2500 BRZ großen modernen
Mehrzweckfrachter. Das Schiff kommt mit einer Ladung Sojamehl aus
Amsterdam und
ist auf dem Weg nach Gdynia. Ich soll in Brunsbüttel
einsteigen und während der
Kanalpassage von meinem Kollegen übernehmen. Die
Gefühle sind gemischt: Stolz,
Enthusiasmus, Glück – aber auch Bedenken, ob ich der
Aufgabe tatsächlich
gewachsen sein werde, ob die Vorbereitung ausreichend war, welche
Fettnäpfchen
auf mich warten werden…
18.06.13,
Gdynia Reede
Der
erste Tag als Kapitän der
„MARC-ANDRÉ“ ist überstanden.
Nach dem üblichen Übergabe-Kamikaze im
Nordostseekanal (das Schiff war nachts um 3 in Brunsbüttel
angekommen…) hatte
ich kurz vor Erreichen der Schleuse in Holtenau das Kommando von meinem
Kollegen übernommen. Auslaufen in Holtenau dann ausnahmsweise
mal mit Lotse.
Nicht dass gleich in den ersten Minuten etwas schief geht und die Sache
als
kürzestes Kommando in die Geschichte der Reederei eingeht.
Langsam aber sicher
erobere ich die Brückentechnik. Es ist alles wie auf dem
Schwesterschiff
„YVONNE“, wo ich im vorigen Jahr 4 Monate als
Chiefmate gefahren war. Nur das
ist halt schon 1 Jahr her und die Anordnung der einzelnen Komponenten
und
Knöpfe ist dann doch etwas anders. Aber schon bald
fühle ich mich wie zu Hause.
Mal abgesehen davon, dass ich gelegentlich an meiner Kammer vorbei
laufe. Der Kapitän
hat hier ein ganzes Deck für sich – und dieses ist
in der Regel eine no-go Zone
für den Rest der Crew. Auch ist es noch sehr
gewöhnungsbedürftig für mich, mit
„Käpt’n“ und
„Sie“ angesprochen zu werden.
Aber wir sind inzwischen gut in Gdynia, dem Ziel unserer
ersten Reise,
angekommen. Zur Zeit liegen wir am Anker und warten darauf, dass unser
Liegeplatz im Hafen frei wird .
25.06.2013 Querab Öland
/
Schweden
Die
erste Woche als Kapitän ist
überstanden. Das Löschen in Gdynia verlief
ereignislos. Danach dann die neue
Reiseorder: es geht nach Italien. Wir sollen in Mönsteraas
Zellulose für Genua
laden. Zunächst gilt es erst einmal Mönsteraas zu
finden. Dann die Frage
beantworten: Lotse oder nicht. Schiffe unter 90 m Länge
dürfen den Hafen ohne
Lotsen anlaufen. Wir sind – nicht ohne Grund –
89.99 m lang. Soll ich es wagen,
oder soll ich doch lieber professionelle Hilfe hinzu ziehen. Die kostet
natürlich Geld und der Reeder sieht es gerne, wenn seine
Kapitäne solche Häfen
alleine anlaufen. Nach längerem Studium der Seekarten und
Handbücher entscheide
ich mich für den Alleingang. Irgendwann muss es das erste Mal
sein. Das Wetter
ist gut, das Schiff in Ballast, der Steuermann fähig. Das
Fahrwasser ist dann
auch gar nicht so schwierig. Allerdings ist der zugewiesene Ankerplatz
etwas
gewöhnungsbedürftig, weil eng und an allen Seiten von
Inseln und Untiefen
umgeben. Mehr als 3 Kettenlängen Ankerkette stecken ist nicht
möglich, weil das
Schiff dann beim Schwoien schon gefährlich nahe an diese
Hindernisse käme.
Daher sind die Ankerwachen auch nicht wirklich entspannt. Und
tatsächlich am 2.
Tag geht eine Wetterfront durch und in der darin enthaltenen
Bö fängt der Anker
an zu slippen und das Schiff fängt an, achteraus zu treiben.
Zum Glück ist
unser Chief Engineer auf Zack und hat die Maschine in nur 3 Minuten
gestartet.
So hieven wir den Anker und ankern erneut. Diesmal hält er
ohne Probleme.
Was macht man 4 Tage in
Schweden
im Mittsommer vor Anker? Ist doch klar: Laderaum malen, Schiff putzen,
Rettungsboot aussetzen und Fahrstunden für die Crew
veranstalten, Feuerschutzübung
abhalten,… und mit der Crew auf dem Achterdeck grillen. So
vergehen auch diese Tage
und endlich ruft der Agent an, dass unser Liegeplatz nun frei wird und
wir nun anlegen
und laden können. Mein erstes Manöver ganz alleine. 4
Tage lang habe ich mir
den Liegeplatz mit dem Fernglas beguckt, die Seekarte und die
Manöverunterlagen
des Schiffes studiert und mir eine Strategie überlegt. Ich
habe Glück. Das
Wetter spielt mit. Strahlender Sonnenschein, schwache, leicht ablandige
Winde,
kein Strom. Das Manöver glückt problemlos. Luke auf
und los geht es mit Laden.
So
viele Dinge, an die jetzt
gedacht werden muss: Frischwasser bunkern, Altöl abgeben,
Benzin fürs
Rettungsboot kaufen (wir haben ja einiges verbraucht). Bei der Passage
des NOK
werden zwei Crewmitglieder abmustern. Es muss die Heuerabrechnung
gemacht
werden, es müssen die Überstundennachweise
geschrieben werden, die Flüge
organisiert werden (das macht zwar das Büro, aber dazu
müssen sie wissen, wann
wir voraussichtlich in Kiel sein werden), Beurteilungen müssen
geschrieben
werden (wie denn, wenn ich sie nur 7 Tage lang gesehen habe) und sie müssen
natürlich ihre Aufgaben vernünftig
an die Nachfolger übergeben und ihre Kammern sauber und
ordentlich hinterlassen
(auch das hat ein Kapitän zu überprüfen).
Dazu der Ladebetrieb, den zwar im Prinzip der Steuermann
überwacht, aber
der hat auch immer mal Fragen, bzw. der Kapitän sollte ein
Auge drauf haben,
damit es keine Überraschungen gibt. Zu allem
Überfluss ist nicht genug Ladung
da. Wir sollten 3300 t laden, es stehen aber nur 3108 t bereit. Der
Eigner ist
davon natürlich nicht begeistert und so muss ein Deadfreight
Claim (eine
Fehlfrachtforderung für den ungenutzten aber bereitgestellten
Raum) gemacht
werden. Das natürlich kurz vor dem Auslaufen.
Schliesslich ist auch das erledigt und wir legen ab.
Leider ist die
Ansteuerung auf dem Rückweg schwieriger, als auf dem Hinweg.
Das Schiff ist
beladen und manövriert daher träge, der Wind ist
stärker und eine bösartige
Kurve wird nur höchst unelegant mit Hilfe brachialer
Maschinenmanöver
bewältigt. Der Lack von Frau Kapitän bekommt
erhebliche Kratzer, das Schiff
bleibt unversehrt… Aber nun ist auch das hinter uns und wir
streben gen Süden.
08.07.2013 – Mittelmeer
Wir
fahren entlang der
italienischen Küste von Genua nach Neapel. Auf dem Weg von
Schweden nach
Italien haben wir so ziemlich alles an Wetter mitgenommen, was das
Fahrtgebiet
zu bieten hat. Sturm und Regen gegen an haben uns so viel
Verspätung
eingebracht, dass wir nicht, wie erhofft, am Wochenende in Genua
angekommen
sind, sondern passgenau zum Löschen am Montag in den
frühen Morgenstunden. Dann
der übliche italienische Bürokratiemarathon. Ich habe
bestimmt 200 Zettel
unterschrieben und gestempelt. Nun also Neapel. Dort eine wahre
Alptraumladung
abholen: Müll für die Verbrennungsanlage in Delfzijl.
12.07.2013 – Neapel
Die
wahren Herausforderungen als
weiblicher Kapitän liegen oft an ganz unerwarteter Stelle. So
zum Beispiel am
Gate zu dem Terminal, an dem wir in Neapel liegen. Es ist 20:00 Uhr und
ich
komme vom Landgang zurück. Rechtzeitig, damit der Chiefmate
auch noch an Land
kann. Nur die Security des Terminals hat etwas dagegen. Ich
stünde nicht auf der
Besucher-Liste, wird mir dort mitgeteilt, als ich mich am Gate melde,
um wieder
an Bord zu gehen. Und wer nicht auf der Besucher-Liste steht,
dürfe nicht
durch. Ich erkläre freundlich, dass ich der Kapitän
des Schiffes sei und kein
Besucher. Nur der Wachmann am Gate spricht leider kaum Englisch. Ich
versuche
es mit ein paar Brocken Italienisch und viel Gestikulieren: „
Commandante –
barca – MARC-ANDRÉ“. Sein
Gesicht erhellt sich: „You wife of Captain? Call captain come
to gate – then
you can go in.” Ich versuche es noch einmal: “No, I
am not wife of captain – I
AM THE CAPTAIN!” Die Antwort ist frustrierend: “Oh,
you girlfriend of captain –
sorry, you not on visitor list…” Leider
gehen weder mein Chiefmate (er
steht schon landgangsfein an der Gangway und wundert sich, wo ich
bleibe), noch
der Agent ans Telefon, um mir weiter zu helfen. So muss ich
schliesslich
warten, bis am Gate Wachwechsel ist und ein weiterer Wachmann
erscheint, der
bereit ist, mich die 200 m bis zur Gangway zu begleiten, um die Sache
vor Ort
zu klären. An nächsten Tag geht dann alles glatt.
Inzwischen hat sich im
gesamten Hafen herumgesprochen, dass die MARC-ANDRÉ eine
Frau Kapitän hat.
19.07.2013
– Biscaya
Wir
laufen bei bestem Wetter
nordwärts nach Delfzijl. Ich bin inzwischen etwas
über einen Monat an Bord.
Alles geht seinen Gang. Die Crew ist gut und willig und zieht bei der
von mir
ausgerufenen
„Unser-Schiff-soll-schöner-werden-Aktion“
voll mit. So haben wir
die Mittelmeerreise zu ausgiebigen Mal- und Putzarbeiten genutzt und
der
Dampfer sieht prima aus. Vor ein paar Tagen gab es ein kleineres
Problem, das
zum ersten Mal etwas kniffligere Entscheidungen von mir verlangte.
Mitten im
Mittelmeer, mitten in der Nacht, teilte mir der Chief Engineer mit,
dass sein
Steuerungscomputer für die Hauptmaschine abgestürzt
sei und sich das
Steuerungs- und Überwachungsprogramm für den gesamten
Maschinenbetrieb nicht
mehr starten lasse. Es liefe zwar alles, aber er hätte keinen
Zugriff darauf
und könne keinerlei Einstellungen oder Änderungen
ausführen. Wir stoppen das
Schiff erst mal auf, gehen auf Drift und dann verbringen Chief
Engineer,
Chiefmate und ich die halbe Nacht am Maschinenleitstand und versuchen
es mit
diversen Neustarts. Kein Erfolg. Den Support der Herstellerfirma oder
auch nur
einen Kollegen auf einem anderen Schiff der Reederei um Hilfe fragen
können wir
nicht, weil wir fernab von Land kein Handynetz haben und nachts auch
niemand
erreichbar wäre. Also
entscheiden
zwischen weiter aufgestoppt driften und versuchen, das Problem
gemeinsam in den
Griff zu bekommen, was zu Verspätungen (=Kosten)
führt, die man dann Eigner und
Charterer erklären muss, oder die Reise fortsetzen, um in der
Strasse von
Gibraltar vielleicht Handyempfang zu haben und Hilfe zu bekommen. In
solchen
Momenten fühlt man sich unglaublich einsam und es wird einem
bewusst, was es
bedeutet, die Verantwortung für das Schiff übernommen
zu haben. Ich entscheide
mich, dass wir weiter fahren. Die Maschine läuft ja
schließlich und die
Parameter müssen dann eben auf traditionelle Weise vor Ort vom
Chief Engineer
gemessen und abgelesen werden. Das bedeutet im Klartext, dass er rund
um die
Uhr alle 2 Stunden aufstehen und eine Maschinenrunde machen muss. Am
nächsten
Tage dann mehrere – fruchtlose – Telefonate mit
Kollegen und der
Supporthotline. Ja, das Problem kenne man, es trete wohl
öfters auf, aber wie
man es löst, wisse man auch nicht.
Schließlich wagen Chiefmate und Chief Engineer
nach der Passage der
Strasse von Gibraltar noch einen weiteren Versuch, des Neustarts und
finden
tatsächlich die Stelle im Hochfahrprogramm, wo es hakt. Etwas
später verkünden
mir beide freudestrahlend, dass wieder alles in Ordnung ist.
Erleichterung auf
allen Seiten. Nun nur noch schnell eine E-mail an die Reederei, dass
der
bereits für Delfzijl georderte Techniker nicht mehr
erforderlich ist.
Für
Delfzijl ist wieder allerhand
Aktion geplant. Zum einen sitzt dort der Charterer, die
holländische Firma
Wagenborg, zum anderen ist es ein Hafen, wo gut Crewwechsel
durchgeführt werden
können. So werden dort eine Kadettin und ein Passagier
einsteigen. Wir werden
also mit 8 Leuten weiter fahren. Es muss zusätzlicher Proviant
genommen werden.
Die Frischwassertanks müssen aufgefüllt werden.
Treibstoff muss gebunkert
werden. Diverse kleinere Reparaturen müssen
durchgeführt werden. Und dann muss
natürlich die Ladung gelöscht und der Laderaum
gereinigt und für die nächste
Ladung vorbereitet werden. Letzteres ist diesmal besonders unangenehm,
denn wir
haben ja Müll geladen. Das heißt, wenn alle Ladung
draußen ist, muss der Raum
mit scharfen Reinigungsmitteln gewaschen und desinfiziert werden, denn
es kann
durchaus sein, dass wir auf der nächsten Reise wieder Getreide
oder
Futtermittel laden. Und selbst wenn nicht, dann gilt doch immer die
Regel, dass
der Laderaum sauber, trocken und geruchsfrei zu sein hat.
21.09.2013
– Kokkola /Finnland
Zwei
arbeitsreiche Monate liegen
hinter uns. Von Delfzijl aus ging es erst einmal nach Norwegen, dann
nach
Russland, Schweden, Belgien, Holland, Polen, Irland, wieder Holland,
Dänemark,
Lettland und nun schliesslich Finnland. Kaum mal eine Nacht
über im Hafen.
Meist ankommen – Ladebetrieb – Abfahrt. Ein Auftrag
jagt den nächsten. Durch
die vielen An- und Ablegemanöver fällt das
Manövrieren immer leichter und ich
laufe nun alle diejenigen Häfen, wo es erlaubt ist, ohne
Lotsen an. Besondere
Freude macht das dann, wenn die Reise in einen deutschen Hafen geht.
Einmal
laden wir sogar in Rostock. Stolz geschwellter Brust teile ich der
Verkehrszentrale Warnemünde mit, dass ich keinen Lotsen
benötige, nur um wenige
Minuten später vom Agenten zu erfahren, dass mein geplanter
Liegeplatz nicht
frei sei, sie aber einen Warteplatz zwischen zwei anderen Schiffen
für mich
frei gemacht hätten. 120 m Pierlänge hätte
ich, um mein 90 m langes Schiff dort
„einzuparken“… Aber man wächst
ja bekanntlich mit seinen Aufgaben und so
gelingt dieses Manöver am Ende ganz wunderbar.
In
Irland hatten wir dann eine
Port State Control. Jeder Hafenstaat hat das Recht, die Schiffe, die
seine Häfen
anlaufen, unangemeldet auf alle sicherheitsrelevanten Aspekte zu
kontrollieren.
Und so bekommen wir in Greenore dann auch Besuch von einem solchen
Inspektor.
Er hält die gesamte Crew 5 Stunden sowohl von ihrer
eigentlichen Arbeit – der
Überwachung des Ladebetriebs – als auch von ihren
wohlverdienten Ruhepausen ab.
Letzteres ist besonders fatal, da wir ein sogenanntes Zweiwachenschiff
sind.
Das ist ein Schiff, das nur Kapitän und Chiefmate hat, die
abwechselnd die
Wachen gehen, also das Schiff fahren – jeweils 6 Stunden mit
6 Stunden Pause danach.
Fallen diese Pausen weg, kommt man schnell auf einen 24-Stunden
Arbeitstag,
nach dem man dann seine nächste 6-stündige Nachtwache
antreten muss. Ankern
hilft nicht, denn dann müssten Kapitän und Chiefmate
ja immer noch ihre
Ankerwachen gehen. Nur wenn das Schiff an der Pier liegt und kein
Ladebetrieb
herrscht, muss kein Nautiker auf der Brücke sein und beide
können mal eine
Nacht durchschlafen.
Ich
habe inzwischen einen neuen
Chiefmate. Nachdem bereits vor einigen Wochen ein Ablöser
für meinen Chiefmate
Tino an Bord kam, dann aber nach zwei Wochen das Schiff wieder
verließ, weil er
der Aufgabe doch noch nicht gewachsen war, haben wir nun Sven-Ole. Er
kommt
frisch von der Seefahrtschule und schlägt sich wacker. Der Job
des Steuermannes
auf einem Kümo ist nicht leicht. Es gibt viele verschiedene
Aufgaben und
Zuständigkeiten, wie Ladungsplanung, Navigation, Planung der
Sicherheitsübungen, Wartung der
Sicherheitsausrüstung, Planung der
Decksarbeiten, Sauberhalten der Brücke, Korrigieren der
Seehandbücher, Planen
und Überwachen der Arbeitszeiten der Crew, … Klar,
der Kapitän unterstützt
dabei und übernimmt auch schon mal die eine oder andere Sache.
Aber er hat ja
auch seinen eigenen Job zu tun.
Nun
ist dies auch schon wieder
fast einen Monat her und wir sind also in Kokkola und sollen hier
Chemikalien
für Tarragona laden. Es geht also wieder ins Mittelmeer. 14
Tage Seetörn hin
und dann eine andere Ladung nehmen und wieder 14 Tage zurück
nach Norden. Und
dann – so ist jedenfalls der Plan – Urlaub. Die
Ladungsplanung ist diesmal
etwas kompliziert, da die Chemikalien in Säcken auf Paletten
geladen werden,
darauf sollen dann noch 2 Lagen sogenannte Big Bags, also
große Säcke zu je 1
t. Die große Frage ist: wieviel passt in den Laderaum rein
– kann also ab Werk
geordert werden – und wie staut man das am geschicktesten,
damit es durch die
im Atlantik zu erwartenden Schiffsbewegungen zu keinen
Ladungsschäden kommt.
Gemeinsam mit dem Chiefmate rechne ich diverse Varianten aus, bis wir
der
Meinung sind, die beste gefunden zu haben. Nach 2 ½ Tagen
Ladezeit geht es dann
Richtung Süden. Hier in Kokkola hat es bereits Nachtfrost. In
Spanien hoffen
wir noch auf sommerliche Temperaturen.
Auf
der Reise mal wieder alle
Wetter. Vor allem die gefürchtete Biscaya zeigt mal wieder
ihre Zähne. Der Wind
kommt schräg von vorne, die Wellen aus 3 verschiedenen
Richtungen. Das Schiff
rollt und stampft und wir machen nur noch 5 Knoten Fahrt und selbst die
meist
in die falsche Richtung. Aber kurz vor Gibraltar bessert sich das
Wetter und
wir passieren die Strasse von Gibraltar im strahlenden Sonnenschein.
Ich liege
auf dem Bootsdeck in meiner Hängematte und sehe den uns
begleitenden Walen und
Delfinen zu.
In
Tarragona wechselt der Koch.
Unsere Ghanaischen Crewmitglieder bleiben jeweils 8-9 Monate an Bord
bevor sie
wieder Urlaub haben. Manchmal verlängern sie den Einsatz dann
noch. Dazu kommt
noch die Problematik der Trampfahrt mit ihrem nicht feststehenden
Fahrplan und
den nicht voraussehbaren nächsten Häfen. So kann es
dann schon mal kommen, dass
es dann noch einen Monat dauert, bis endlich der Ablöser an
der Gangway steht.
So auch bei Koch Benjamin, der nun nach fast 11 Monaten an Bord endlich
nach
Hause fliegt. Wir alle sehen der Ablösung freudig entgegen,
denn Benjamins
Kochrepertoire kennen wir nun zur Genüge und hoffen, dass sein
Ablöser ein paar
neue Ideen mitbringt. Der Koch untersteht an Bord direkt dem
Kapitän. Jeden
Sonntag kommt er zur Brücke und legt seinen Vorschlag
für den Speiseplan der
nächsten Woche vor. Es gibt gute Köche, bei denen man
nur einen kurzen Blick
darauf wirft und das Ganze dann absegnet. Es gibt aber auch solche, die
jeden
dritten Tag dasselbe kochen und am liebsten nur die Dinge, die einfach
herzustellen sind, wie Pommes, Tiefkühlpizza,
Bratwurst… Da muss der Kapitän
dann seine Freiwache Sonntagnachmittag damit verbringen, in der
Proviantlast
nachzuschauen, was noch da ist und welche Sachen demnächst
ablaufen, und dann
selbst einen Speiseplan für die nächste Woche
erstellen. Bei der Gelegenheit
wird dann auch gleich mal die Sauberkeit in Kombüse,
Proviantlast und Messe
überprüft und überlegt, wann die
nächste Proviantbestellung gemacht werden muss
und was da so gebraucht wird. Einmal im Monat gibt es dann die
große Runde: es
werden alle Kammern und alle öffentlichen Bereiche des
Schiffes kontrolliert,
ob alles funktioniert und vollständig ist, ob es sauber und
ordentlich ist und
ob vielleicht irgendetwas gebraucht wird oder erneuert werden muss.
22.10.2013
– La Huelva / Spanien
Endlich
wieder Ladung. Zwei
Wochen sind wir an der spanischen Küste entlang
gedümpelt, bis es unserem
Befrachter gelungen ist, wieder eine einträgliche Ladung
Richtung Norden zu
ergattern. Wartezeiten zwischen den Ladungen sind in der Trampfahrt
normal. Im
Moment ist es aber extrem. Die Seefahrt steckt in einer tiefen Krise
und hier
im Mittelmeer gibt es kaum noch etwas zu fahren. Es gibt zwar Ladung,
aber die
Frachtraten sind so niedrig, dass teilweise nicht einmal die laufenden
Kosten
gedeckt werden und es dann günstiger ist, das Schiff einige
Tage untätig ankern
oder treiben zu lassen, bis sich etwas besser bezahltes findet. So
hatten wir
nach dem Löschen der Ladung Tarragona verlassen und waren in
der Nähe von
Valencia vor Anker gegangen, um auf neue Order zu warten. Da dies aber
eine
touristische Region ist, und die Leute dort am Strand nicht dauerhaft
auf
wartende Frachter gucken wollen, wurden wir nach ein paar Tagen
freundlich aber
bestimmt aufgefordert, in internationale Gewässer zu gehen,
oder aber einen
Hafen anzulaufen. So hievten wir also Anker und fuhren in Schleichfahrt
(sogenannter Öko-Speed) in Richtung Gibraltar, um in Ceuta zu
bunkern. Dann
wurde die Ladung aus Huelva abgeschlossen und wir hatten endlich wieder
ein
Ziel. Nach einigen Tagen ankern vor Huelva liegen wir nun an der Pier
in
unmittelbarer Nähe der Altstadt und laden Zellulose
für Rouen. So schön es auch
im Mittelmeer ist,
Untätigkeit zerrt an
den Nerven aller und so sind wir froh, dass wir wieder weiter fahren.
29.10.2013 – Rouen /
Frankreich
Was
für eine Überfahrt von Huelva
hierher. Praktisch die gesamte Zeit Starkwind und dann noch ein
richtiger
Orkan. Zum Glück kamen Wind und See die gesamte Zeit von
schräg achtern, so
dass das Schiff zwar heftig rollt, aber wenigstens gut voran kommt und
sich
nicht feststampft. Bei Finisterre kommt uns die „ANDRE
W“ entgegen. Auch sie
hatten von Schweden kommend nur schlechtes Wetter gehabt
erkämpfen sich ihren
Weg nach Italien. Ein Tiefdruckgebiet jagt das andere. Ich studiere
Seehandbücher und Karten, um Möglichkeiten zum
Abwettern zu finden. Als wir in
der Mitte der Biscaya sind kommt dann über Funk die Warnung,
dass ein sehr
schwerer Sturm aus dem Nordatlantik direkt auf uns zu hält.
Nun gilt es zu
entscheiden, ob wir es noch vor dem Sturm um das Kap von Ushant herum
schaffen
und uns dann Landschutz suchen können, oder ob wir besser nach
Brest in den
Hafen gehen und dort abwarten. Ich entscheide mich für die
erste Variante, denn
wenn die Vorhersage stimmt, dann würden wir das Kap etwa 12
Stunden vor dem
Sturm passieren und hätten dann gute Landabdeckung vor der
nördlichen Küste
Frankreichs. So gehen wir dann auch gleich nach dem Passieren des
Zwangsweges
bei Ushant so dicht an die Küste, wie es sicher ist und fahren
dort ganz
langsam entlang, so dass der Orkan uns überholen kann. An Bord
messen wir Wind
bis zu 60 Knoten, aber dank der Luvküste ist der Seegang
erträglich. Erst kurz
vor den Kanalinseln wenden wir uns dann wieder nach Norden, um auf dem
normalen
Weg Richtung Rouen weiter zu fahren. Ein Fahrt zwischen den Kanalinseln
direkt
zum Cap de la Hague wäre normalerweise zwar möglich,
aber bei diesen
Wetterverhältnissen und insbesondere bei Nacht nicht
empfehlenswert gewesen.
Am späten Vormittag
kommt dann
der Lotse an Bord für die schöne Fahrt die Seine hoch
nach Rouen. Ich habe
keine Zeit, die Flussfahrt zu genießen. Während der
Steuermann mit dem Lotsen
auf der Brücke ist, räume ich meine Kammer auf.
Während des Sturms ist ziemlich
viel durch die Gegend geflogen. Dann packe ich meine Sachen und
schreibe mein
Übergabeprotokoll. In Rouen kommt mein Ablöser an
Bord und ich gehe für 2
Monate in Urlaub.