Sie hieß MARY-ANNE...

angeheuert auf einem Großsegler.

 

 

Nach all den Törns auf der MIR und anderen Schiffen wuchs im Frühjahr 2004 der Wunsch, einmal für längere Zeit in See zu gehen. Auch sollte es nach Möglichkeit nun nicht mehr als Trainee oder als Volunteer, sondern als echtes Crewmitglied sein. So ergriff ich begeistert die Chance, bei der Reederei Meyer zur Heyde als Deckhand anzumustern...

1. Teil: Valencia-Malaga (17.-31.05.04)

Zunächst ging es gar nicht auf die MARY ANNE II, sondern auf die andere Barkentine derselben Reederei - die ATLANTIS. So packte ich im Mai 2004 den Seesack und stieg wenig später in den Flieger, der mich zu meinem Schiff nach Valencia bringen sollte. Im Vorfeld war viel zu erledigen. Schließlich sollte es für 1/2 Jahr an Bord gehen. Abschied von Freunden und Bekannten, aber auch solche Dinge wie das Kündigen von Abos, der Besuch beim Zahnarzt, das Erledigen von lange aufgeschobenen Sachen. Und schließlich die Überlegung, was frau so alles mitnehmen sollte auf einen derart langen Törn. Limitierend dabei einerseits das Freigepäck der Fluggesellschaft und andererseits die Unterbringung an Bord. Auch wenn die Unterbringung nicht wie auf der MIR in 12-Bett-Kubricks stattfinden sollte, so ist der Platz an Bord eines Seglers immer stark begrenzt und unnötige Ausrüstung sollte zu Hause bleiben.

Als Fahrgebiet war das Mittelmeer vorgesehen. Sonne! Nach diversen Frühjahrstörns auf Elbe und Ostsee ein verlockender Gedanke. Badesachen, ja die müssen mit. Dass ich vielleicht auch Sonnencreme hätte mitnehmen sollen, wurde mir nach dem ersten Tag an Deck schmerzlich bewusst. 

Aber so weit sind wir ja noch nicht. Erst einmal der erste Eindruck. ATLANTIS und MARY ANNE liegen in Valencia im Päckchen. Ich muss über MARY ANNE steigen um an Bord meines Schiffes zu kommen. Dabei treffe ich gleich auf einen Bekannten. Mit Heiner Max Kucz, Kapitän der ATLANTIS war ich bereits vor 2 Jahren auf dem Schoner VALDIVIA VON ALTONA gesegelt. Gemeinsam mit seiner Freundin Christiane war er nun bereits seit einiger Zeit hier an Bord. Die weitere Crew lernte ich im Lauf des Abends kennen. Da gab es Hartmut im Maschinenraum und Stefan, den Koch. Christiane leitete das Service-Department. Jose fuhr als chief mate. An Deck gab es noch Nina, mit der ich eine Kammer bewohnen sollte, Reinhard, Norman und 2 Ukrainer, die beide Viktor hießen. Von MARY ANNE kamen dann noch Jens (Maschinist) und Alexander (AB) dazu. Zum Überwintern waren beide Schiffe nur mit ganz kleiner Crew besetzt gewesen. Diese sollte nun in den nächsten Tagen aufgefüllt werden, denn bald ging die Reise los.

Am ersten Tag, so teilt man mir mit, ist für mich noch keine Arbeit vorgesehen. Ich soll mich in Ruhe an Bord umsehen, meine Kammer beziehen und mich einleben. Morgen um punkt 8.00 Uhr sei Dienstbeginn. So spaziere ich über ATLANTIS und versuche, mich zurechtzufinden. Zum Glück ist das Schiff nicht so groß wie die MIR und so habe ich die wesentlichen Orte bald gefunden. MARY ANNE interessiert mich vorerst nicht. Ich soll ja auf ATLANTIS fahren.

Schliesslich nach der ersten Nacht an Bord der erste Morgen. Der Tag an Bord von ATLANTIS beginnt mit Riggtraining. Hurtig beginne ich in die Wanten zu klettern - und stelle fest, dass mir dabei unwohl ist. Einerseits ist das Rigg anders als ich es von der MIR gewöhnt bin. Es ist z.B. nicht so fest gespannt und alles ist viel kleiner. Andererseits liegt mir immer noch der Vorfall im vergangenen Frühjahr in den Knien, als ich auf der MIR beim Überstieg vom Want in die Rah unklar kam. Mit Mühe erreiche ich hier die Mars-Saling. Ein Auslegen auf die Rah oder ein Weiterklettern zur Bramsaling will nicht gelingen. Ich nehme mir vor, es weiterhin zu üben, will mir meine Kapitulation noch nicht eingestehen. Heiner meint, es gibt auch unten genug zu tun und so schlage ich erst mal mit Viktor1 zusammen auf dem Bugspriet Segel an.

Die erste Woche auf ATLANTIS vergeht mit dem aufriggen und seeklar machen des Schiffes. Als das geschehen ist, fangen wir mit dem Pönen an. Auf einem Schiff gibt's immer was zum Anstreichen und so ist das Rostentfernen, Primern und Pönen die Hauptaufgabe der Deckscrew. Die ATLANTIS, die nach dem langen Winter etwas vagabundenhaft aussah, nimmt langsam wieder Gestalt an. Sie wird jeden Tag schöner und wir werden immer stolzer auf unser hübsches Schiff. Ende des Monats sollen wir nach Malaga fahren und dort die ersten Chartergäste an Bord nehmen. Bis dahin soll alles schön sein. 

Schließlich kommt der letzte Tag in Valencia. Die Ausrüstung ist seefest verzurrt, die Wachen sind eingeteilt. Klar vorn achtern, die Reise geht los. Als die Leinen alle los sind und wir uns langsam von der MARY ANNE lösen, sehe ich sie zum ersten Mal komplett. Mir wird plötzlich klar: ich bin auf dem falschen Schiff! Ich mag doch moderne Schiffe viel lieber als alte. Und ich mag schnelle Segler. Und mir gefiel doch die Flybridge von MARY ANNE so gut. Aber ich soll nun mit ATLANTIS fahren. 

Doch nicht für lange. Da auf MARY ANNE noch Crew fehlt, beschließt die Reederei, dass in Malaga jemand von der ATLANTIS zur MARY ANNE wechseln soll. Als Heiner dies ankündigt, überlege ich kurz, erwäge die Vor- und Nachteile. Ich habe mich inzwischen auf ATLANTIS eingelebt, kenne mich hier aus. Für MARY ANNE spricht jedoch, dass sie die interessantere Reise geplant hat. Während ATLANTIS den Sommer über im Mittelmeer bleiben wird, soll MARY ANNE von Malaga nach Kiel gehen und erst im August wieder ins Mittelmeer zurückkehren. 2 lange Überführungen - das ist etwas für mich. Ich bespreche mich mit Heiner und wir beschließen, dass ich in Malaga umsteige.

Die Überfahrt von Valencia nach Malaga ist ereignislos. Ich bin mit Nina in der 0-4-Wache eingeteilt. Unser Wachoffizier ist Juan, ein immer gut gelaunter Mallorquiner, der in seiner Freizeit Jazz-Gitarre spielt und deutsch lernt. Die 360 Seemeilen schaffen wir in 5 Tagen. Die 99 Jahre alte ATLANTIS ist kein Rennpferd. Außer den Ruderwachen wird gepönt und gepönt und gepönt.

Malaga, die Schöne. Hier ist Spanien so, wie ich es mir vorgestellt habe. In den Straßen erklingt Flamencomusik. Es ist sehr heiss, aber der Strand ist nicht weit von unserem Liegeplatz, so dass wir nach Feierabend schwimmen gehen können. Wir genießen die Tage hier und warten auf MARY ANNE. Diese ist einige Tage nach uns losgefahren und wird erst am Vorabend der Charter eintreffen. Schließlich kommt auch dieser Tag. Ich sitze auf gepackten Sachen und steige direkt kurz nach Einlaufen über.

***

2. Teil: Malaga-Hamburg (01.06.-13.07.04)

Ich ziehe bei Michaela ein. Michaela, die ich bereits lange von MIR und KRUZENSHTERN her kenne, ist seit ein paar Tagen auf MARY ANNE als Purserin angemustert. Sie soll bis Kiel mitfahren. Kapitän auf MARY ANNE ist der immer gut gelaunte Christian Petersen. Die Crew besteht aus Andreas (chief mate), Jose (2nd mate, ebenfalls von ATLANTIS umgestiegen), Uwe (Maschinist), Eric (Bosun), Sergey (AB), Alexander (AB) und Anne (Service). Petra ist für diese Woche auch noch bei uns im Service, soll aber danach auf ATLANTIS fahren.

Am nächsten Tag kommen die Gäste. Das Schiff wird ein letztes Mal geputzt. Dann zieht sich die Crew um. Für die Dauer der Charter - auf jeden Fall für die Begrüßung der Gäste ist Uniformzwang angesagt. Begeisterung. Bei 40° im Schatten in voller Gala rumlaufen ist keine Freunde. Zum Glück gehen wir bald in See und dort weht etwas Wind.

Die Charter führt uns über Marbella und Estepona nach Gibraltar und wieder zurück nach Malaga. Wir haben viel Spaß mit den sehr netten Gästen, die auch am Bordalltag teilhaben wollen. Sie helfen mit beim Segelsetzen, aber auch in der Kombüse. Viel zu schnell ist Malaga wieder erreicht und die Gäste steigen aus. Nun trennen sich auch die Wege der beiden Schiffe. Am nächsten Morgen wird die ATLANTIS zu den Balearen segeln. Wir bleiben vorerst hier. Vor der großen Überfahrt muss die Maschine überholt werden. Dazu kommen 2 Spezialisten aus Vigo (Nordspanien) angereist. Auch unsere Crew verändert sich erneut. Nicht nur dass Petra zur ATLANTIS wechselt. Auch unser Kapitän mustert ab. Krischan Petersen ist Professor an der Fachhochschule Flensburg. Er unterrichtet dort Schifffahrtsrecht und Navigation und kann nur in der vorlesungsfreien Zeit auf MARY ANNE fahren. Bis dahin übernimmt Klaus Gröne das Kommando. Als zweiter Offizier kommt Herr Sawitzky, denn auch Jose verlässt uns. Seine Frau erwartet ein Baby und er will nach Hause. Klaus und Gabi, alte Freunde des Schiffes werden uns bei der Reise unterstützen. Klaus hilft bei der Technik und Gabi im Service. Auch 2 Passagiere fahren mit: Wolfgang und Karl-Heinz. Aber vorerst bleiben wir noch ein wenig in hier, denn die Reparaturen ziehen sich hin. Die Deckscrew nutzt die Zeit um das Oberdeck zu entrosten und zu konservieren. Das Pick-pick-pick der Rosthammer martert den Rest der Crew, aber was hilft's. Das muss ja schließlich gemacht werden.

Endlich erklären die Monteure die Arbeiten für beendet und wir gehen wenige Stunden später in See. Erneut geht es Richtung Gibraltar, nur diesmal daran vorbei, hinaus in den Atlantik und dann nach Norden. Wir müssen uns sputen, denn es sind nur 10 Tage bis zum Beginn der Kieler Woche und fast 2000 Meilen liegen vor uns. Trotz des günstigen Windes schiebt die Maschine immer mit. Wir kommen gut voran. Bis etwa auf der Höhe von Lissabon...

...Es ist während meiner Wache (4-8). Ich stehe am Ruder als Wachoffizier Andreas ein eigenartiges Geräusch bemerkt. Er geht in den Maschinenraum, kann aber nichts verdächtiges finden. Die Unruhe bleibt. Da ist es wieder, das Geräusch. Es wird lauter. Noch lauter. Dann kommen Rauchwolken aus dem Maschinenschott und die Maschine bleibt stehen. Käpt'n wecken. Maschinisten wecken. Was tun? Entscheidung: manövrierunfähig, ja/nein? Schließlich gelingt es Uwe, die Maschine wieder in Gang zu setzen. Zwar nur in Schleichfahrt, aber immerhin. Dass wir so nicht bis Kiel kommen, ist klar. So wird beschlossen, dass wir nach Vigo gehen, wo die Mechaniker herkamen, die die Maschine doch gerade erst repariert hatten. Die sollen sich des Problems annehmen. Kurs Vigo also, das wir 2 Tage später erreichen.

Zwei Wochen bleiben wir in Vigo. Nicht nur, dass die Mechaniker das Problem nicht finden und als sie es endlich finden, nicht so einfach beseitigen können. Nein, wir werden auch noch durch einen Werftarbeiterstreik aufgehalten, durch Ersatzteile, die erst noch eingeflogen werden müssen, durch Spezialisten, die extra anreisen müssen und durch mehrmaliges verholen müssen innerhalb des Hafens, weil wir irgendwie immer im Weg sind. Während unser Maschinist und immer neue Mechaniker immer wieder neu versuchen, die Maschine in Ordnung zu bekommen, erforscht der Rest der Crew die nordspanische Hafenstadt, und als wir die kennen, das Umland. An unseren freien Tagen werden Ausflüge gemacht und ich lerne so Santiago de Compostela und die Islas de Cies kennen. Irgendwann wird unser Käp't dann das ewige Verholen leid und wir gehen in der Bucht vor Anker. Nun können wir einerseits in aller Ruhe das Deck weiter streichen und uns langsam an die Aufbauten machen, andererseits, können wir von Bord aus schwimmen gehen, was im Hafen nicht möglich war. Unterbrochen wird diese Idylle dann nur von den täglichen Probefahrten, die immer dann unternommen werden, wenn die Mechaniker wieder einmal glauben, dass sie das Problem gelöst hätten. Leider tritt meist nach nur wenigen Kabeln das alte Geräusch, gefolgt vom Ausspucken einer neuen Zündkerze, wieder auf und die Monteure verschwinden erneut in den Tiefen des Maschinenraumes...

Nach zwei Wochen endlich heisst es "Anker auf - wir fahren nach Hamburg!" Die Kieler Woche ist inzwischen zu Ende, so dass wir gleich zu unserem nächsten Hafen gehen. In Hamburg warten eine Kurzcharter und ein Werftaufenthalt auf uns. Wir, das sind nun nur noch 8: Käpt'n, Andreas, Uwe, Michaela, Eric, Sergey, Alexander und ich. Herr Sawitzky hat inzwischen das Kommando auf der ATLANTIS übernommen. Anne ist heimwehkrank nach Hause gefahren. Gabi und Klaus hatten keinen weiteren Urlaub und unsere beiden Passagiere hatten auch keine Zeit mehr, weiter mitzureisen.  So nehmen wir Kurs auf Kap Finisterre, den letzten Zipfel Spaniens und dann quer durch die Biscaya nach Norden.

Keine 2 Tage später, mitten in der Biscaya - das alte Problem. Die Maschine weigert sich, auch nur wenig mehr als 1000 Umdrehungen zu laufen. Zusätzlich stößt sie dicke schwarze Rußwolken durch den Auspuff und lärmt zum Gotterbarmen. Was nun? Zurückkehren oder weiterfahren? Wir haben ja noch Segel und so lautet unser Ziel weiterhin Hamburg. Mit einer derart kleinen Crew, von der auch nur 4 Leute an Deck fahren, ist jedes Manöver ein All-Hands-Manöver. Das gilt auch als Eric seekrank wird. Da hilft nix. Da muss er durch. Auch meine Probleme mit dem Rigg sind egal. Ich darf dennoch - gemeinsam mit Eric - ein weiteres Stagsegel hoch oben anschlagen, damit wir ein wenig mehr Fahrt machen. Dass uns die Atlantikdünung dabei von einer Seite zu anderen schmeißt, nun ja, das ist eben so. Segelschiffsmatrose ist nicht unbedingt ein Job für zarte Gemüter. Aber auch Michaela hat es nicht leicht. Sie kocht für uns und die Kombüse ist bei Seegang ebenfalls kein einfacher Arbeitsplatz. Alles muss festgezurrt werden und dennoch passiert es, dass etwas überläuft oder wegrollt. Auch im Maschinenraum und selbst auf der Brücke holt man sich blaue Flecken. MARY ANNE macht in dem hohen Schwell ganz und gar verrückte Bewegungen. Gelegentlich kommt es vor, dass sie mit dem gesamten Bugspriet in die Wellen eintaucht und beim wieder hochkommen die grüne See bis an die Fenster der Brücke spritzt. Auch die Freiwache findet kaum Ruhe. In der Koje wird man wild hin und her geworfen. Alle sind froh, als wir in die ruhigeren Gewässer des englischen Kanals kommen.

Dort wartet ein neues Vergnügen auf uns. Der Strom. Da der Wind auf Nordost dreht, kommen wir am Wind segelnd nur sehr langsam voran. Haben wir den Strom gegen uns, geht es teilweise mehr zurück als voran. Schließlich nimmt der Wind bis Sturmstärke zu und wir kreuzen vergeblich zwischen England und Frankreich hin und her, kämpfen 3 Tage verbissen darum, endlich den Greenwich-Meridian zu queren. Dabei sind die Seen kurz und steil, die Sicht ist schlecht und es regnet unentwegt. So hatten wir uns das mit der Seefahrt immer vorgestellt...

Endlich dreht der Wind und wir kommen weiter voran Richtung Deutsche Bucht. Schließlich erreichen wir am 12.7. Brunsbüttel und gegen Mitternacht desselben Tages endlich auch Hamburg. Der Liegeplatz an der Überseebrücke ist mir vertraut. Die MIR hatte dort die letzten beiden Winter verbracht. So ist es für mich ein ganz klein wenig so, als wäre ich nach Hause gekommen. Besonders freut sich Eric über das Einlaufen. Ihm waren unterwegs die Zigaretten ausgegangen und so eilt er umgehend zum nächsten Kiosk um endlich wieder rauchen zu können. Am nächsten Tag dann eine Tagescharter mit Ausfahrt im Hamburger Hafen. Günstige Winde erlauben es sogar, dabei ein paar Segel zu setzen. 

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3. Teil: Harburg 14.7.-1.9.04

Zunächst bleiben wir an der Überseebrücke liegen. Ein schöner Liegeplatz in Citynähe. Nach ein paar Tagen aber, wird der Platz dort für andere Schiff gebraucht, und wir müssen verholen. Da es sowieso nach Harburg in die Werft gehen soll, geht die MARY ANNE gleich nach Harburg und macht dort am Schrägkai fest. Ich nutze die Möglichkeit, ein paar Tage nach Hause zu fahren, um meinen Sohn, der selber demnächst für 6 Monate in See gehen wird, zu treffen und ein paar Dinge, die ich nicht mit nach Valencia genommen hatte, aber bitter vermisse, zu holen. Eric verläßt das Schiff. Er ist als Bootsmann nie richtig anerkannt gewesen und konnte sich mit dem Barkentinenrigg nicht wirklich anfreunden. Seine Welt sind größere Yachten und er hofft, dort wieder einen Job zu finden. So sind wir an Deck nur noch 3. Aber für die Werftzeit reicht das aus. Auch für unseren Kapitän endet die Reise hier. Es übernimmt der 1 Offizier Andreas.

Als ich wieder an Bord zurückkehre, steht das Schiff bereits im Trockendock. Die Arbeiten an der Hauptmaschine, sowie viele andere Dinge, die gemacht werden müssen, sind bereits im Gange. Das Schiff wird komplett gesandstrahlt und der feine Sand macht sich überall breit. Unzählige Roststellen werden bearbeitet, vieles liegt in seine Einzelteile zerlegt an Deck oder im Dock. Wir beschäftigen uns mit so spannenden Dingen wie dem Ausschiften der Ankerketten und dem Erneuern der Markierungen der einzelnen Schäkel. Akrobatik ist angesagt beim Entrosten des Stampfstages oder beim Ausbessern des Klüvernetzes. Die Kombüse wird zur Baustelle als das Auspuffrohr umgebaut wird und die Überholung der Hydraulikanlage macht die Brücke zu einem Schlachtfeld. Die Crew, für die das Schiff auch hier das zu Hause bleibt, macht es sich so gemütlich wie möglich: Samstags wird auf dem Achterdeck gegrillt. 

Schließlich sind die Arbeiten, für die das Trockendock notwendig war, getan. MARY ANNE erstrahlt im neuen Lack und auch das Antifouling des Unterwasserschiffes ist aufgetragen. Das Dock wird geflutet und wir vorholen erneut an den Kanalplatz im Harburger Binnenhafen. Endlich wieder Wasser unter dem Kiel! Das Schiff fühlt sich im Dock anders an als im Wasser und die Geräusche sind anders. Nun ist aber wieder alles wie gewohnt und das Bordleben nimmt wieder seinen gewohnten Gang. Viele Kleinigkeiten sind noch zu erledigen, bevor die MARY ANNE wieder ins Mittelmeer zurückkehren kann. Unter anderem sind auch die beiden Elektrodiesel zu ersetzen, da eine Überholung sich nicht mehr lohnt. Die Brückentechnik wird auf den neuesten Stand gebracht und die Deckscrew kann sich endlich mal um das Rigg kümmern, denn gepönt ist zur Abwechselung mal alles. So werden Teile des stehenden und laufenden Gutes ausgetauscht und gelabsalt, Segel genäht, Nägel, Schäkel und Blöcke überholt. Endlich die Art der Seemannschaft, die Spaß macht. Derweil werden wir zum Ausflugsziel der Harburger Spaziergänger, die einzeln und in Gruppen kommen und uns von der Pier aus beim Arbeiten zusehen. Das Wetter ist für Hamburg ungewöhnlich schön und so findet das gesamte Bordleben an Deck statt. Die Mahlzeiten werden an Deck eingenommen, die Wäsche zum Trocknen aufgehängt und einige schlafen sogar an Deck in Hängematten.

Irgendwann soll es jedoch weitergehen und so verändert sich die Crew wieder einmal. Andreas geht in Urlaub. Uwe mustert ab. Von der alten Crew bleiben Michaela, Sergey, Alexander und ich.  Das Kommando übernimmt erneut Krischan Petersen. Als Chief Mate bringt er seinen alten Freund Uli mit. Dazu kommen noch Gerd und Karl-Heinz, die sich um die Maschine kümmern. An Deck erhalten wir Verstärkung durch Philipp, der vorher auf FRIDTJOF NANSEN gefahren ist, Matze von der UNDINE und Christian, der zum ersten Mal an Bord eines Schiffes ist und für den alles neu ist.  In dieser Zusammensetzung werden in See gehen.

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4. Teil: Hamburg-Sardinien 2.9.-30.9.04

Am 2.9. heißt es dann endlich wieder "Leinen los!" und wir gehen wieder in See. Erneut geht es die Elbe entlang. Mittlerweile kenne ich dieses Fahrwasser beinahe auswendig, hatte ich doch im Frühjahr etliche Tagestörns auf der Elbe am Steuer der MIR gestanden...

Im Gegensatz zur Hinreise sind wir nun richtig schnell. Kaum dass wir die Elbmündung hinter uns haben, werden Segel gesetzt und da zusätzlich noch die Maschine schiebt, dauert es nicht lange und wir sind erneut im Englischen Kanal. Ich gehe die 8-12-Wache mit beiden Christians - Krischan, der als Kapitän Wachoffizier dieser Wache ist und Chris, der neben mir an Ruder und Ausguck eingeteilt ist. Für Chris ist alles neu. Er muss erst lernen, wie man ein Schiff steuert und so kommt es, dass wir manchmal ganz woanders hinfahren als wir wollen. Aber Übung macht den Meister und so ist er bald in der Lage, das Schiff auf Kurs zu halten. Darüber hinaus unterhält er uns mit Geschichten aus seinem bewegten Leben und spontanen Ideen. Da unsere Wache verglichen mit der Zeit vorher ausnehmend gut besetzt ist, bleibt mir Zeit, Navigation und Kollisionsvermeidung zu üben. Krischan lässt mich oft die Aufgaben des Wachoffiziers übernehmen, damit ich lernen kann. Er hält sich dabei zurück und kontrolliert mich nur von Zeit zu Zeit. Die lange Erfahrung auf See lässt ihn instinktiv merken, wenn etwas nicht stimmt. So kann ich Erfahrungen sammeln und mich entscheiden ob der von mir angestrebte Weg Nautik zu studieren und Steuermann zu werden der richtige ist.

Besondere Ereignisse gibt es kaum. Nur dass uns der Großbaum bei einem Segelmanöver entgegen kommt. Beim Versuch einer Wende bricht der Lümmel und der Baum hängt nur noch am Segeln. Wir laschen ihn an Deck fest und bauen eine Konstruktion, wie man das Groß als "Gardinensegel" fahren kann. Es werden Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern wird, bis der Baum repariert ist. Der Lümmel ist fest im Lager eingerostet und wir könne zumindest mit Bordmitteln nichts ausrichten.

13 Tage dauert unsere Überführungsfahrt. 13 schöne entspannte Seetage. Auf solch langen Törns stellt sich sehr bald ein Rhythmus im Bordleben ein, der für die Crew sehr angenehm ist. Jeder geht seine Wachen, man löst einander ab, immer ist jemand da, der gerade im Dienst ist, aber auch immer schläft gerade jemand, auf den Rücksicht genommen werden muss. Abwechselung bieten die uns begleitenden Delphine oder Wale, sowie die seltenen Gelegenheiten, wo wir Land in Sicht haben. Das Wetter ist gleichbleibend schön und wir bleiben  von Stürmen verschont. Viel zu früh für meinen Geschmack, aber endlich für Chris, der bereits nach 2 Tagen Heimweh bekommen hatte. 

Nach 2500 sm erreichen wir Porto Cervo an der Nordostecke Sardiniens. Wunderschön ist es hier. Weniger wunderschön ist unser Liegeplatz. Wir müssen "römisch-katholisch" in einem Yachthafen festmachen. Nicht unbedingt das, wozu Rahsegler gebaut sind. So ist unsere Gangwaykonstruktion eher seltsam. Die Luxusyachten rechts und links beäugen uns argwöhnisch. Sie haben alle Schonbezüge auf ihren Fendern und wir hängen einfach unsere Autoreifenfender raus. Da fürchtet man um den Glanz des polierten GFK-Rumpfes und rückt sobald sich die Gelegenheit bietet etwas ab... Sardinien ist extrem teuer. Nach der langen Fahrt geht unser Weg - schließlich sind wir Seeleute - zuerst in die nächste Kneipe ein Bier trinken. Das winzige Glas voll kostet 6 Euro. Hoppla! Auch der Kontakt mit zu Hause ist teuer. Internetbenutzung wird 10minutenweise abgerechnet und übersteigt eindeutig unsere Verhältnisse. So bleiben wir nach den ersten Rundgängen meist an Bord oder fahren in unserer Freizeit mit dem Dinghy zum nächsten Strand baden.

Erneut gibt es Veränderungen in der Crew. Katrin kommt hinzu. Sie arbeitet mit Michaela im Service. Dafür steigen Krischan, Gerd und Karl-Heinz ab. Uli Lamprecht, bis dahin 1. Offizier, übernimmt das Kommando. Andreas kehrt aus dem Urlaub zurück und für die Maschine kommt Jens, den ich bereits aus Valencia kenne. Als alle an Bord sind, verlassen wir den Hafen von Porto Cervo und gehen in einer Bucht in der Nähe vor Anker. Nach ein paar Tagen geht es dann nach Olbia (ebenfalls Sardinien) zum Bunkern und zur Reparatur des Großbaumes. Chris und Matze steigen hier aus. Das Heimweh ist zu groß, sie wollen nach Hause. Auch Uli hat keine Zeit mehr und es gibt wieder mal einen neuen Kapitän: Uwe Hinz.

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5. Teil: Côte d'Azur und zurück nach Sardinien 30.09.-28.10.04

Mal wieder sind wir nur zu acht als wir nach Frankreich segeln. Dort sollen wir in der Bucht von St. Tropez vor Anker gehen um während der 75-Jahre-internationale-Drachenklasse-Regatta als Begleitschiff zu dienen. Die 200 sm dorthin legen wir in 2 Tagen zurück und dann fällt der Anker in der von Schiffen fast überfüllten Bucht von St. Tropez. Schön ist es hier und der Flair des Ortes etwas ganz besonderes. Ein bisschen wie ein Bild von Van Gogh, der ja lange in der Provence gelebt und gearbeitet hat. Hier darf ich nun richtig Motorboot fahren lernen, denn unsere Glückssträhne mit dem Wetter hat ein Ende. Immer wieder bekommen wir Starkwind und teilweise Sturm. Dennoch wird versucht, einen Motorbootshuttle mit dem Land aufrecht zu erhalten. Ich lerne, bei 4m Welle an der Bordwand anzulegen, was dank Andreas' Fangleinenkonstruktion mit etwas Übung sogar einhand möglich ist. Die Tage vergehen mit Maintenance, Schwimmen und Angeln, sowie Ankerwachen und dem Übersetzen von Crew und Gästen. Michaela verlässt das Schiff und so haben wir keinen Koch mehr. Das Kochen wird nun von denen aus der Crew, die das können, reihum übernommen, die Backschaft auf alle aufgeteilt.

Nach der Regatta geht es zurück nach Sardinien. Dort steige ich aus. Meine Zeit an Bord ist um. Auch Alexander verlässt hier das Schiff und ebenso Uwe. Neue Crewmitglieder werden kommen und die MARY ANNE weitersegeln...

Ich packe meinen Seesack. Viel hat sich angesammelt. Ich verschenke einige Sachen. Andere kommen auf den Müll oder zu den Lumpen. Die Arbeit an Deck verschleißt Kleidung und Schuhe ohne Ende. Dennoch bekomme ich meinen Seesack kaum zu und muss am Flughafen auch heftig Übergepäck zahlen. Am letzten Abend gehe ich noch einmal über das ganze Schiff. Wir haben es tatsächlich geschafft, in meiner Zeit an Bord das gesamte Schiff zu streichen... Das Schiff sieht jetzt gut aus. Ich weiß noch, wie sie ausgesehen hatte als ich in Valencia an Bord kam.

Zum Abschied am nächsten Morgen ist die gesamte Crew erschienen. Es fällt mir schwer zu gehen. 5 1/2 Monate sind eine lange Zeit und das Schiff ist zum zu Hause geworden, die Crew zur zweiten Familie. Katrin fährt mich zum Flughafen. Im Auto fragt sie mich, ob es nicht schwer gewesen sei von Bord zu gehen ohne zurückzuschauen. Nein, nicht so sehr. Ich brauche mich nicht umzudrehen. Ich kenne jetzt jedes Teil der MARY ANNE, jede Schraube, jeden Winkel, jedes Geräusch, jeden Geruch. Ich werde sie vermissen und hoffentlich irgendwann wieder an Bord zurückkehren.

 B. Beuse, Oktober 2004