638 nautische Meilen auf einem russischen Rahsegler.
meine erste Reise mit der MIR von Rostock-Warnemünde nach Bremerhaven im April 1999
Ostersonntag, 4.4.99, 14.00 Uhr. Endlich geht es los. Ich stehe mit meinem zum Seesack umfunktionierten Wanderrucksack auf dem Bahnhof Berlin-Schönefeld und winke meinem Mann und meinem Sohn Paul ein letztes Mal zu. Dann setze ich mich auf die Mauer und warte auf den Zug, der mich zu meinem großen Abenteuer bringen wird...
Schon als kleines Kind begann meine Liebe zu den letzten großen Segelschiffen dieser Welt. Meine erste Erinnerung an ein Segelschiff – es wird wohl auch das erste Mal gewesen sein, daß ich eines sah – weiß ich noch genau: Meine Eltern waren mit mir nach Laboe gefahren, um das dortige U-Boot und das Marinedenkmal zu besichtigen. Das U-Boot war ja auch interessant, das Marinedenkmal für mich 8jährige eher weniger, aber dann sah ich etwas, das mich beeindruckte: Das deutsche Segelschulschiff GORCH FOCK fuhr unter vollen Segeln aus der Kieler Förde. Liebe auf den ersten Blick. Mir war sofort klar, daß ich, wenn ich dann erwachsen wäre, auch auf so einem Schiff fahren wollte. Leider weckte man mich sehr unsanft aus meinen Träumereien und sagte mir: „Mädchen nehmen die nicht mit und bis du groß bist, gibt es sowieso keine Windjammer mehr!“
...
die
Bahnfahrt ist
ereignislos. Ich sitze allein in meinem Abteil. Am jedem Bahnhof sehe
ich mir
die Menschen an, die zusteigen. Ob wohl einer von denen auch zur MIR
will. Kann
man Segler erkennen?
Umsteigen in Rostock. Mit der
S-Bahn geht es nach Warnemünde. Will die Fahrt denn gar kein
Ende nehmen? Ich
schaue aus dem Fenster. Wie hoch sind 49m? Man müßte
die Masten doch bald
sehen können. Auf einmal ruft ein Kind auf der Nachbarbank:
„Guck mal, Mami,
ein Segelschiff!“
Da erblicke ich mein zu Hause für
die nächsten 7 Tage. Der Rucksack wird geschultert, der
Fotoapparat umgehängt,
meine Füße finden von allein den Weg...
Meine
Liebe zu Rahseglern wie
GORCH FOCK war kein Strohfeuer. Wenn ich schon nicht mitsegeln konnte,
so könnte
ich doch wenigstens alles über diese Schiffe wissen. Ich
klebte dann vor den
Auslagen der Bücherläden mit Literatur über
Segler. Zu meinem 10. Geburtstag
bekam ich dann das große Buch der
Gorch
Fock. Bald
kamen weitere Bücher
dieser Art dazu. Während andere in der Schule vor Langeweile
Käsekästchen
malten, zeichnete ich Rahsegler.
Leider waren wir in Berlin
sehr weit vom Meer entfernt, und so gerieten dann andere Dinge in den
Vordergrund: Tanzen, Jungs, Schule. Es blieb eine leise Sehnsucht, die
mich auch
später, wo immer es ging, wie an unsichtbaren Tauen zum Meer
zog. War ich
einmal da, so trugen mich meine Füße von allein zum
Hafen. Wenn da irgendwo
ein Rahsegler lag, ich fand ihn.
18.00
Uhr. Ich stehe vor
MIR. Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen.
Ich werde an Bord
gehen und sie wird mit mir ablegen. Die Gangway schwankt und scheppert.
An Bord
erwartet mich ein fröhliches Lächeln. Es
gehört zu Evgeny,
der Wachdienst hat. „Trainee?
Wait here, Nicole come
soon.“ Nicole
ist der Name unserer Verbindungsfrau, unsres Liaison
Officer. Sie
wird diese Woche für alle unsere
Nöte und Fragen zuständig
sein. Ich beneide sie jetzt schon glühend um diesen Job.
Inzwischen treffen
auch noch weitere Trainees ein und Nicole
führt uns zu unseren Kajüten. Wir werden auf zwei
12-Mann-Kubriks aufgeteilt,
jeweils 8 Trainees pro Raum. Die Kojen können wir frei
wählen. Wer zuerst
kommt, darf zuerst aussuchen. So sind die Fensterplätze
natürlich schon
belegt, als ich komme. Dafür bleibt das Bett unter mir frei
und ich genieße
den Luxus, einen zweiten Schrank mit meinem Gepäck vollstopfen
zu können. Bett
beziehen, Sachen auspacken, dann ein erster Rundgang über das
Schiff. Dabei
lerne ich auch Isa, unsere zweite Verbindungsoffizierin, und ihren
Verlobten
Sascha kennen. Sascha ist jetzt schon untröstlich,
daß er seine Seefrau mit
uns ziehen lassen muß, dabei ist es doch nur eine Woche bis
Bremerhaven. Danach
allerdings wird Isa für 8 Monate mit KRUZENSHTERN
auf See sein.
Nun sind inzwischen auch die
anderen Trainees angekommen. Mit Sascha (13 Jahre alt) und seinem Opa
Hinrich
aus Stade, Stephan aus Berlin, Manfred aus Petersdorf, Gerti und Klaus
aus
Hannover, Markus aus Wiesbaden und mir ist unsere Kajüte
komplett.
Da das Abendessen um 17.00 Uhr
habe ich verpaßt. Langsam grimmt der Magen. Ich gehe noch
einmal an Land. Ein
Telefonat nach Hause mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn, schnell
noch ein
paar Briefmarken gekauft und Karten vom Schiff an meine anderen
Söhne, die zur
Zeit ebenfalls verreist sind, an die Firma, an die Urlaubsvertretung
abgeschickt
Nun wird Warnemünde erkundet. Ist übrigens sehr
hübsch! Danach gehe ich mit Nicole,
Isa und ihrem Sascha essen. Wird das die letzte vernünftige
Mahlzeit? Ab jetzt
nur noch Schiffszwieback?
Als wir zurückkommen ist es
bereits dunkel. Das Schiff liegt im Licht der Hafenlaternen. Ruhe und
Gelassenheit strahlt es aus. In der Gewißheit, daß
es nur schön werden kann,
klettere ich mich in meine Koje. Beim sanften Plätschern der
Wellen und dem
gleichmäßigen Schnarchen eines Mitbewohners schlafe
ich ein.
Ostermontag,
5.4.99, 7.00 Uhr
morgens. Aus dem Bordlautsprecher ertönt eine freundliche
Ansage in russischer
Sprache. Wir stehen senkrecht im Bett. Als die Ansage auf Englisch
wiederholt
wird verstehen wir immerhin, daß das eine Art Weckruf gewesen
ist. Da erscheint
auch schon Nicole und
übersetze uns,
daß wir jetzt freundlicherweise aufstehen möchten,
uns waschen oder duschen können
und um 7.30 Uhr zum Frühstück in die Kadettenmesse
kommen sollen. Um 8.00 Uhr
wäre dann Arbeitsbeginn und um 10.00 Uhr würden wir
ablegen.
In gewisser Weise ist MIR
ein Luxusschiff. So bin ich dann sehr angenehm überrascht
über die sanitären
Zustände dieses Schiffes. So ist es uns z.B. möglich,
jeden Tag heiß zu
duschen. Es sind sogar Extraduschen für uns Frauen da (obwohl
wir insgesamt nur
5 weibliche Trainees sind), so daß wir uns nicht an
irgendwelche Zeitregelungen
halten müssen. Die Toiletten, Waschräume und Duschen
sind während des
gesamten Törns immer sauber und ohne unangenehme
Gerüche. Die dafür
notwendigen Arbeiten erledigt die Stammcrew unauffällig und
prompt, was ich ein
wenig unfair finde – die Trainees hätten ihren Dreck
ruhig selber wegmachen können!
Anzumerken wäre hier noch, daß auf See, wenn das
Schiff krängt, das Wasser
beim Duschen von den Frauenduschen zu den Männerduschen
läuft, so daß diese
keine Chance mehr haben, trockenen Fußes zu ihren Sachen zu
gelangen. Nischiwo.
Künstlerpech.
10.00 Uhr. Per Lautsprecher werden alle Gäste angewiesen, von Bord zu gehen, die Gangway wird eingeholt, die Taue an Bord gezogen, wir legen ab. Am Ufer läuft Isas Verlobter mit uns mit. Als ein Hafenbecken ihm den Weg versperrt, verleiht ihm die Liebe Flügel und er sprintet in Rekordzeit drum herum, um dann bis zur Mole mitzuhalten.
10.20
Uhr. Der Lotse geht von
Bord und wir setzten zum ersten Mal Segel. Noch sind wir Trainees
völlig
verwirrt von diesem Manöver. Auch von den Ansagen von der
Brücke verstehen wir
nichts. Mit Zeichensprache und gebrochenem Englisch erklären
uns die Matrosen,
an welchen Tampen wir ziehen müssen. Wir lernen unser erstes
Wort Russisch:
„brossili“
– fallenlassen/loslassen.
Ein Blick nach oben zeigt uns,
daß wirklich die Segel oben, die Rahen vierkant gebrasst
sind.
Was fehlt, ist ausreichend Wind. Aber MIR ist ein gutes
Schiff. Sie
reagiert auch auf den leisesten Hauch und
so
machen wir dann sogar 1,3 Knoten Fahrt. Glück breitet sich auf
den Gesichtern
von Crew und Trainees aus. Im strahlenden Sonnenschein stehen wir an
der Reling
und genießen den wunderschönen Ostseetag.
Nicole und Isa teilen uns inzwischen
zur Backschaft ein. Immer 4
Trainees haben zusammen Küchendienst. Jeder kommt einmal
täglich dran, immer
zu einer anderen Mahlzeit. Die Arbeit geht fröhlich von der
Hand, die Teams
versuchen jeweils schneller als die anderen den Tisch zu decken, das
Essen aus
der Kombüse zu holen, und hinterher die Messe aufzuklaren und
abzuwaschen.
Beim Mittagessen erfahren wir
dann etwas über die Bordroutinen. Wir erfahren, daß
man an Bord eines Seglers
nicht pfeifen darf, sonst gibt es Sturm, und daß man nicht
auf die Schwellen
treten darf, wenn das Schiff nicht sinken soll. Um 13.00 Uhr sollen wir
uns auf
dem Achterdeck einfinden, weil der Kapitän uns die Crew
vorstellen möchte und
wir zum Wachdienst (freiwillig) eingeteilt werden sollen.
13.00
Uhr. Alle Trainees stehen
wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Achterdeck und harren der
Dinge, die da
kommen. Als dann die Crew in Uniform antritt, sehen wir
beschämt an uns
herunter. Im Vergleich dazu sehen wir aus wie Vagabunden. Als Kapitän
Victor Nicolaevitch Antonov uns
dann freundlich anlächelt, ist sofort das Eis gebrochen.
Er stellt uns jeden seiner
Offiziere und Bootsmänner dem Rang nach vor. Wir stellen
überrascht fest, wie
wenig es sind. Für diesen Törn werden wir nur aus
Kapitän, 32 Crewmitliedern
und 16 Trainees bestehen. Kadetten sind keine an Bord. Aus meinen
Büchern weiß
ich, daß man zu einem vernünftigen Segeln eines
Schiffes dieser Größe (
3-Mast-Vollschiff, 2.285 BRT., 2.771qm Segelfläche,
Länge 108,9m, Breite 14m)
einer weitaus größeren Mannschaft bedarf und die
Crew eigentlich aus 50
Mitgliedern plus 120 Kadetten bestehen soll. Wie soll das gehen mit uns
paar
Leuten?
So bittet uns Kapitän
Antonov dann
auch um unsere Mitarbeit. „ Es ist
freiwillig, aber wer jetzt
zusagt, der darf dann hinterher auch nicht kneifen und muß
sich verpflichten,
bis zum Ende des Törns zuverlässig seine Wache zu
versehen. Die Mannschaft
verläßt sich dann auf euch.
Zu
besetzen sind: Ruderwache, Bojenwache und Ausguck. Wen darf ich
einteilen?“
Nachdem Nicole und Isa uns
erklärt haben, was zu tun ist, und daß wir
nicht wie die Crew 4 Stunden tags und 4 Stunden nachts, sondern nur
jeweils 1
Stunde wachen müßten, erklären sich denn
auch die meisten dazu bereit. So
werden wir dann eingeteilt und ich komme zunächst in eine
Dreiergruppe zu
Hinrich, Sascha und mir.
Wir sollen dann immer von 5.00
bis 6.00 und von 17.00 bis 18.00 Uhr wachen. Da wir uns dann aber nur
gegenseitig im Wege stehen und von 6.00 bis 8.00 die Crew allein ist,
bitten wir
um Aufteilung, die uns dann auch gewährt wird. So werden dann
Sascha und
Hinrich von 5.00 bis 6.00 und ich ab 6.00 bis 7.00 Uhr wachen.
Es macht aber Spaß, so ein schönes
Schiff ganz allein zu steuern (natürlich unter fachkundiger
Aufsicht), so
bleibe ich meist bis der Aufruf zum Abendessen bzw.
Frühstück kommt.
Logbuch 5.4.99, 14.30 Uhr
Luft: 12°C
Wasser: 4°C
Wind: 4m/s aus Süd
Kurs: 330°
Geschwindigkeit: 1,3kn
Position: 54°22‘ N 11°52‘
E
Wassertiefe: 19 m
15.00 Uhr. Für die mutigen Trainees ist das erste Riggtraining angesagt. Oberbootsmann Andrej wird mit uns bis zur Marssaling steigen. Matrose Maxim holt die für einen Rahsegler typische Oberbekleidung, den Takelgurt und zeigt uns, wie er angelegt wird. Das ist für einige von unseren Männern unerwartet schwierig, sind doch Seeleute in der Regel eher klein und schmächtig. So muß erst eine Weile gesucht werden, bis wir auch für Stephan einen geeigneten Gurt gefunden haben. Endlich ist die erste Gruppe fertig. Drei Leute, sagt Andrej, dürfen zuerst mit hinauf. Die Kamera lasse ich erst einmal unten. Isa schießt vom Deck aus die Beweisfotos. Jetzt kann es losgehen. Die Hände an die Wanten, die Füße auf die Webleinen, immer an drei Punkten sicheren Halt haben, dann eine Hand oder einen Fuß versetzen. Im Schneckentempo, ab und zu vorsichtig nach unten sehend, arbeiten wir uns vorwärts. Einklinken können wir uns erst auf der Saling. Dort angekommen zeigt uns Andrej wie wir durch das Loch in der Saling steigen und wo wir uns am besten festmachen sollen. Nun ein Blick nach unten. Es ist, als würde ich aus dem 7. Stock eines Hochhauses sehen. Zum Glück ist kein Seegang. Als die Beine nicht mehr schlottern, machen wir uns an den Abstieg, der dann schon etwas schneller geht. Die nächste Gruppe entert auf. Mein Kindheitstraum hat sich erfüllt. Ich bin die Wanten eines Großseglers hinaufgestiegen. Was kann mir jetzt noch passieren. Was kostet die Welt?
Als
mein
Mann mich kennenlernte, ahnte er nicht, was er
sich eingehandelt hatte. Ansatzweise war es ihm vielleicht
bewußt geworden, als
wir 1985 mit der MS HAMBURG, einer großen
Passagierfähre nach England fuhren.
An der Überseebrücke hatte damals nämlich
RICKMER RICKMERS festgemacht als
Windjammer für Hamburg. Ich drückte also meinem Mann
unser Baby in die Hand
und erklärte ihm kurzerhand, ich müsse da jetzt hin.
Natürlich mußte ich dann jedesmal da hin, wenn wir
in
Hamburg waren. So hat es ihm
dann
auch nicht mehr gewundert, daß ich bei unserer ersten
gemeinsamen Reise nach
London auf die Frage, was ich denn dort sehen wolle, antwortete:
„CUTTY SARK!“
Das ist der letzte Teeklipper, ein wunderschöner Windjammer,
der in Greenwich
im Trockendock liegt. Sie war das schnellste Schiff ihrer Zeit. In New
York mußte
es dann PEKING sein, das Schwesterschiff von KRUZENSHTERN, und so
trottete er
mit mir seither getreulich auf jeden Segler, der uns in die Quere kam.
Als Shiplover
stolperte ich natürlich auch immer über die Segler
– als ob irgendeine
Fernsteuerung mich dahinzöge.
Bei einer dieser Überfahrten nach England hatte ich
dann auch glatt den Termin gebucht, an dem die Sail
in Hamburg stattfand. Zufällig! Dabei sah ich MIR
(Frieden) dann auch zum
ersten Mal. Jahrelang waren wunderschöne Segler wie SEDOV
und KRUZENSHTERN
hinter dem eisernen Vorhang versteckt gewesen, bei der Sail’89
jedoch waren die Soviets mit beiden Schiffen erschienen.
Die wahre Sensation war jedoch ein nagelneuer Rahsegler, der erst gut
ein Jahr
zuvor vom Stapel gelaufen war. Während alle Welt bedauerte,
daß immer weniger
Rahsegler die Weltmeere befuhren, hatten die Russen einen neuen gebaut.
Und was
für ein Schiff. Schlank und schnittig und schneeweiß
lag sie an den Landungsbrücken
und neben all den alten Damen die da noch waren, wirkte sie
selbstbewußt und
stolz ohne gleichen. Was für ein Bild. Leider wartete unsere
Englandfähre
nicht, bis ich sie besichtigen konnte...
15.30
Uhr. „Drr-drr, drr-drr, drr-drr, sail alarm, all hands on
deck in ten minutes.“
Segelalarm. Jetzt haben wir Wind – eine Menge sogar
– nur leider aus der
falschen Richtung, nämlich von vorne. Dazu Regen und kaum noch
Sicht. Die Segel
werden geborgen, gepackt und es wird mit Motor weitergefahren. In den
engen
Fahrwassern ist ein Kreuzen gegen den Wind wenig sinnvoll, schon gar
nicht mit
einem unterbemannten Schiff. Außerdem haben wir zu wenig
Segel. Es sind zur
Zeit nur die Ober- und Untermarssegel, zwei Klüver und zwei
Stagsegel
angeschlagen.
Kapitän
Antonov
beschließt, bis Skagen zu motoren, in der Zwischenzeit mehr
Segel anzuschlagen,
und dann im freien Fahrwasser der Nordsee zu kreuzen. Vorher will er
allerdings
eine Rettungsübung abhalten, damit wir im Falle
des Falles zu unseren
Rettungsinseln (von denen mehr als genug vorhanden sind) finden
können. So
sprinten wir dann beim Ton der Alarmsirene in unsere Kojen, um von dort
die
Schwimmwesten zu holen, rätseln über die russische
Gebrauchsanleitung und
begeben uns mehr oder weniger geordnet an Deck zu unseren
Rettungsstationen. Abzählen.
Alle da? Dann ist gut. Ende der Übung.
Danach
mein erster Wachdienst. Am Ruder steht Evgeny
oder vielmehr Schenja,
wie er gerufen
wird. Schenja spricht hervorragend
englisch und wir haben uns viel zu erzählen. Dann
stört auch der eiskalte
Regen nicht, der unentwegt auf uns herab prasselt. Ich lerne, wie man
ein Schiff
steuert mit einem Steuerrad, das so groß ist, daß
ich meinen Arm ganz
ausstrecken muß, um oben heranzukommen. Es ist ganz anders
als z.B. Auto
fahren. Jede Welle versetzt das Schiff um ein Stückchen und
wenn man das Ruder
geradeaus hält, fährt das Schiff noch lange nicht
geradeaus. Es gibt ja auch
noch Strömung, Abtrift und Krängung. Zum
Glück gibt es einen Kompass, den man
jedoch ständig im Auge behalten muß.
Während ich versonnen in die Ferne
schaue, läuft mir das Schiff aus dem Kurs. Nischiwo. Dann
müssen wir eben
wieder zurück steuern. Es ist noch kein Meister vom Himmel
gefallen. Die Kurs
Kommandos von der Brücke kommen auf russisch. Schenja
übersetzt ins Englische. Am Ende der Reise kann ich
russisch bis 360 zählen.
Am Abend habe ich Muskelkater in den Beinen vom Wanten klettern, im rechten Arm vom Tampen ziehen und im linken Arm vom Ruder halten. Glücklich und todmüde schlafe ich ein. Um 0.45 Uhr weckt uns Nicole wie verabredet, denn wir fahren unter der neuen Beltbrücke, die z. Zt. Die größte Brücke der Welt ist, hindurch.
Dienstag,
6.4.99, 0.45 Uhr. Wir stehen am Bug. Es ist dichter Nebel und
stockdunkel. Nur
mit Mühe kann man die Mastspitze erkennen. Zwei Küver
und an jedem Mast sind
je ein Stagsegel gesetzt. Der Diesel tuckert leise vor sich hin. Das
Gespenstische der Szene wird noch verstärkt. In
regelmäßigen Abständen kann
man zwei Nebelhörner hören.
Wir
Trainees können allerdings nicht entscheiden, woher die
Signale kommen. Wir müssen
uns jetzt etwa 1,5 Meilen von der Brücke entfernt befinden,
doch man sieht
nichts. Leise Zweifel an den Navigationskünsten des
Kapitäns werden wach.
Keiner beneidet den Rudergänger. Dann erscheinen vor uns auf
einmal Schatten.
Grün. Rot. Weiter nichts. Dann plötzlich
ein Band von kleinen grünen
Punkten zwischen den Schatten, aus deren Umrissen plötzlich
erkennbar wird, daß
es sich um die Pfeiler der Brücke handelt. Jetzt sieht man
auch so etwas wie
eine Fahrbahn und zwar direkt über uns! Während die
Klüver unter der Brücke
hindurch gleiten, geht unser Blick zum Fockmast. 49 Meter über
der Wasserlinie.
Das kann nicht gutgehen. Gleich wird er anstoßen.
Während wir die Luft
anhalten, gleitet der Fockmast unter der Brücke durch.
Großmast und Kreuzmast
folgen. Jeder, der es gesehen hat, hätte schwören
mögen, es wäre kaum ein
Meter zwischen uns und der Brücke gewesen. In Wahrheit sind es
über 10 Meter.
Als wir auf der Fahrbahn ein Auto erkennen, bedauern wir, daß
der Fahrer uns
nicht sehen kann. Der Nebel hat uns schon wieder verschluckt.
Es
dauert lange, bis ich wieder schlafen kann.
5.45
Uhr. Sascha steht am meinem Bett. „Aufstehen, du hast Wache,
und es regnet!“
Versprochen
ist versprochen. Da hilft nichts. Also raus aus der Koje. Ab in die
Jeans. Alles
angezogen, was warm hält – dazu die dicken
Skihandschuhe, die ich mir von
meinem Sohn geliehen habe, und ab zur Wache. Es ist
scheußlich kalt und
ekelhaft naß. Schenjas
gute Laune und
aufmunternde Worte halten mich warm. Um 6.30 Uhr dann ein russisches
Kommando
von der Brücke. Schenja
übersetzt,
ob ich Kaffee mag.
„Ja,
sehr.“ „ Du sollst rein gehen, ein
bißchen aufwärmen.“ Im Kartenhaus
erwartet mich heißer, süßer Kaffee und ein
Brötchen. Ich habe noch nie etwas
so Gutes bekommen.
8.00
Uhr. Freiwache. Langeweile. Das Schiff motort vor sich hin.
Draußen regnet es
immer noch. Es gibt nichts zu tun. Auch das Bordklavier lenkt nicht
ewig ab,
denn ich habe keine Noten dabei und kann nur wenig auswendig. Ein
Ausflug zur Brücke.
Auch nichts los. Der Kapitän ist anwesend. Lieber nicht
stören.
Oberbootsmann
Andrej braucht Leute zum Taue
spleißen.
Wenigstens etwas. Er zeigt uns, wie wir die entstandenen
Stücke an eiserne
Stagreiter knoten sollen. Wir tun unser Bestes. Leider sehen unsere
Knoten nicht
so aus, wie die vom Bootsmann. Macht das was?
Um
13.00 Uhr melde ich mich dann freiwillig, um der Crew beim Anschlagen
eines weiteren Stagsegels
zu helfen – trotz unvermindertem Regen.
Bootsmann Kostja
will es erst nicht
glauben, aber dann arbeiten wir kurze Zeit später zusammen 15m
über Deck, die
Füße auf einem dünnen Seil, sicher
angegurtet und ich weiß jetzt, wie die
Knoten hätten sein müssen, damit sie da oben auch
wieder aufgegangen wären.
Die Segel werden Öse für Öse einzeln
regelrecht angenäht, eine mühsame
Arbeit, bei der nach einer halben Stunde gerade einmal drei
Ösen geschafft
sind. Da an dieser Stelle immer nur gleichzeitig zwei Leute Platz
haben, kann
das auch nicht schneller gemacht werden. Ehrfürchtig sehe ich
ins Rigg und mir
wird klar, wieviel Mühe und Arbeit darin steckt. Nach einer
halben Stunde
kommen Oberbootsmann Andrej und
Schiffsarzt Dima (Doc) und
lösen uns
ab. Die nassen Sachen kommen in den Trockenraum, die Hände
werden mit einer
Tasse Tee wieder warm. Spaß gemacht hat es auch.
Sommer 1996. Ich war wieder einmal in Hamburg, diesmal mit meinem Sohn Jens, der auch gerade dabei war, sich mit dem Windjammerfieber zu infizieren. Wir waren, na klar, an Bord von RICKMER RICKMERS. Während ich mir die Auslagen des Souvenirshops besah, fiel mir auf einmal ein Handzettel auf. „Werden Sie bei uns Mitsegler...“ stand darauf. Trotzdem sollte es noch weitere drei Jahre dauern, bis dies dann auch in die Tat umgesetzt wurde. Immer kam etwas dazwischen: es lagen die Törns ungünstig, wer sollte die Kinder betreuen, es war kein Geld da oder kein Urlaub übrig. Immerhin wußte ich jetzt eines ganz sicher. Eines Tages würde ich mit einem Rahsegler mitfahren und mit welchem, war mir auch schon klar, denn MIR hatte sich inzwischen einen tollen Ruf zugelegt und galt dank regelmäßiger Regattasiege als der schnellste Großsegler der Welt. Im Frühjahr 1999 kam dann der richtige Moment. Die Geschäfte waren ganz gut gelaufen, ich hatte mir etwas zurücklegen können. Mein Mann bekam Ostern keinen Urlaub, so daß wir nicht zusammen verreisen konnten. Die beiden großen Kinder würden über die Ferien auf Sprachreise gehen. Der kleine Sohn wollte einige Tage zur Oma fahren. Der Sache stand eigentlich nichts mehr im Weg. In irgendeiner Ecke des Hauses fand ich dann den alten Zettel wieder und ließ mir neue Törnpläne schicken. Ja, mein Liebingsschiff fuhr zur Zeit auf der Nord- und Ostsee herum und sie war sogar noch schöner geworden – hatte sie doch inzwischen einen blauen Rallayestreifen bekommen. Schnell noch meinen Vater überzeugt, daß er immer schon auf meinen kleinen Sohn aufpassen wollte, gebucht und gefiebert, daß nichts mehr dazwischen käme.
Logbuch
6.4.99, 16.00 Uhr
Luft:
7°C
Wasser:
3°C
Wind:
7m/s aus SW
Kurs:
340°
Geschwindigkeit:
8kn (Maschine und Stagsegel)
Position:
57°08‘N 11°39‘E
Mittwoch,
7.4.99, 6.00 Uhr. Nachtwache. Es ist ein kräftiger Wind
aufgekommen. Das Schiff
rollt stark. Noch tuckert der Diesel, aber Kapitän
Antonov verspricht uns, daß wir nach dem
Frühstück die Segel setzen können.
Dann wären wir aus den engen Fahrwassern des Kattegat heraus
und würden Skagen
passiert haben.
Auf
Grund des gar grauenvollen Wetters steuern wir von der Brücke
aus mit Joystick.
Es macht mir sehr viel Spaß und ich darf das Schiff 1
½ Stunden lang ganz
allein steuern – natürlich unter fachkundiger
Aufsicht.
Die
Tücke liegt im Detail. Ich sitze auf einem hohen Hocker, bei
dem meine Füße
den Boden nicht erreichen. Die linke Hand am Ruder, in der rechten Hand
die
Kaffeetasse. Das Schiff rollt unvermindert. Das hat etwas von Rodeo an
sich.
Wieder Erwarten stürze ich nicht um und verschütte
auch meinen Kaffee nicht.
7.30 dann Frühstück. 8.00 Uhr Segel setzen. Endlich.
Als
die Segel oben sind, legt sich MIR auf den linken Bug und wir segeln
mit einer
Krängung von bis zu 15°.
Wir
müssen uns neu orientieren und manche Dinge werden absurd
– z.B. Suppe essen.
Man kann immer nur wenig nehmen, sonst schwappt sie aus dem Teller.
Das
Mittagessen hat für einige von uns wenig
Attraktivität. Die ersten sind
seekrank. Zum Tee ist die Zahl der Trainees schon deutlich reduziert
und beim
Abendessen bekommt der Koch, obwohl es wunderbar schmeckt, die
Hälfte zurück.
Wir letzten sechs schaffen einfach nicht mehr. Auch von der Crew sind
einige
seekrank.
Im Wasser schwimmt jede Menge Treibholz und viel Zeug, was eigentlich nicht in die See gehört. Übermütig sage ich zu Sascha, wenn man das alles zusammensetze, könne man ein ganzes Schiff daraus machen. Ich soll meine vorlauten Worte einige Tage später bitter bereuen.
Ich
stehe am Bug und genieße das Schauspiel der Wellen und den
Sturm in meinen
Haaren. Die Sonne strahlt.
Ich
erbitte mir von Kapitän Antonov
die
Erlaubnis ins Rigg zu klettern, um Fotos zu machen. Ich erhalte sie und
stehe um
14.30 Uhr glücklich auf der Mars und lasse mich durchpusten.
Meine einzige
Angst ist, daß mir die Kamera ins Meer geweht wird. Die Sicht
ist sensationell.
So hatte ich mir das vorgestellt. Der Mast schwankt erheblich mehr als
das Deck.
Ich sehe manchmal das Meer unter meinen Füßen. Ich
habe nur die Erlaubnis bis
zur Mars, aber weiter hätte ich mich ohnehin nicht getraut.
Die anderen
Trainees halten mich ohnehin schon für verrückt.
Nach
einer halben Stunde treibt mich die Kälte dann doch wieder an
Deck zurück. Außerdem
habe ich Küchendienst. Am Nachmittag hat Kapitän
Antonov ein Einsehen mit den Seekranken. Wir machen eine
Halse und steuern
aus dem Sturm heraus. Das gelingt uns dann so gründlich,
daß wir abends, als
ich wieder Ruderwache habe in eine Flaute segeln.
Logbuch.
7.4.99, 15.00Uhr
Luft:
10°C
Wasser:
4°C
Wind:
12m/s aus WN/W
Kurs
341°
Geschwindigkeit:
5kn (am Wind)
Position:
57°45‘N 08°42‘E
Wassertiefe:
200m
Etmal:194,5
Meilen
Entfernung
zur Küste: 29 Meilen
Entfernung
Bremerhaven ca. 250 Meilen
Norwegen
ist in Sicht. Wir sehen viele Schiffe. Einige grüßen
uns. Wir grüßen
huldvoll zurück. Ich wette, alle, die uns sehen –
sofern sie nicht seekrank
sind – beneiden uns glühend. Dank Dimas
Wunderpillen sind die meisten unserer Seekranken wieder auf
den Beinen., bloß
Wiebke nicht. Sie ist schwanger und kann die Tabletten nicht nehmen. Dima verlegt sie ins Lazarett. Endlich
hat er etwas zu tun.
Nichtsdestotrotz ist er häufig an Deck zu sehen und reiht sich
genau wie der
Koch, Kochsmaat, Segelmacher, Maschinisten, Ingenieure und Funker bei
jeden
Segelmanöver bei den Seemännern mit ein. Hier an Bord
ist sich keiner zu fein
für Arbeit. Als ich am Ruder stehe sehe ich wie Kapitän
Antonov zusammen mit Schenja
an den Tampen zieht, um die Stellung einiger Segel zu optimieren.
Derweil
steuere ich allein das Schiff. Diesmal ohne Aufsicht. Hoffentlich
vermassele ich
es nicht.
Als
wir abends wieder eine Halse fahren, werde ich von der Mannschaft zum
ersten
Male mit dem Namen gerufen. Das macht mich unglaublich stolz.
Nach dem Segelmanöver treffen sich die Trainees im ‚Kasino‘, wie die Crew die Mannschaftsmesse nennt. Hier verkaufen Andrej und Maxim und der Doc ab 21.00Uhr Bier, Cola und Schokolade. Die Crew schaut gelegentlich herein. 3DM für ein Bier können sie sich aber nicht leisten. Sie sind auch zu stolz, um sich einladen zu lassen. So teilen sie sich zu zweit oder dritt ein russisches Bier und rauchen Papirosi. Hier werden abends auch die Geschichten über das Leben an Bord erzählt, das Seemannsgarn gesponnen. So auch die von dem Papagei, der eines Tages im Großmast notlandete. Der Funker adoptierte ihn. Das ging so lange gut, bis der Vogel gelernt hatte, den Segelalarm zu imitieren. Er konnte das so gut, daß er den armen Funker mehrmals foppte und er nachts umsonst aufstand. Der Papagei wurde, was sonst, nach Sibirien geschickt – wo die Oma des Funkers lebt. Eine weitere ist, wie MIR durch ein nächtliches Segelmanöver ohne jede Beleuchtung bei einer Regatta die anderen Segler abhängte. Wir Trainees haben unseren Spaß, aber glauben nur die Hälfte
Isa erzählt uns, was die Seeleute verdienen. Selbst der Kapitän bekommt nicht einmal so viel, wie bei uns eine Putzfrau verdient. Ich bekomme ein sehr schlechtes Gewissen und verstehe nicht, warum jemand einen so harten Job macht: täglich 8 Stunden Wache, dazwischen die anfallenden Bordroutinen, nächtliche Segelmanöver, die Familie nicht sehen, die Kinder nicht aufwachsen sehen und das alles für ein paar lumpige Dollar. Selbst wenn ich bedenke, daß das Leben in Rußland billiger ist, als in Deutschland und die Seeleute freie Kost, Logis und Kleidung haben, so wird doch sicher viel Geld in fremden Häfen gelassen und zu wenig zu Hause ankommen. Schenja erzählt mir, daß bei allen die Frauen daheim dazu verdienen müssen und trotzdem keine großen Sprünge möglich sind. Sollte das alte Wort am Ende immer noch stimmen: Seefahrt ist Not!
Als ich
meinen Freunden von meinen Reiseplänen erzählte,
waren die Reaktionen sehr geteilt. Einige erklärten mich
schlicht für verrückt.
Ob ich denn keine Angst hätte, unter lauter Männern,
die monatelang keine Frau
gehabt hätten, zu leben. Ob ich nicht befürchtete,
seekrank zu werden. Warum
es denn ausgerechnet Russen seien müßten. Was mein
Mann denn dazu sagte.
Andere fanden das klasse. Was ich für einen Schneid
hätte.
Segeln wäre überhaupt das Tollste der Welt.
Was für ein Abenteuer, ich sollte ihnen unbedingt
hinterher davon berichten.
Mein Vater meinte, träumen sei ja ganz schön, aber
müßte
man so etwas denn auch in die Tat umsetzen? Was wollte ich mir damit
beweisen?
Da gäbe es sicher jeden Tag nur Borschtsch.
Zwei Argumente ließen sich dann jedoch nicht so ganz
von der Hand weisen:
1.
Wirst du
die Kondition dafür
haben? Das ist
schließlich schwere körperliche
Arbeit! Ich nahm also meine Aerobics wieder auf.
2.
Du kannst
kein Russisch. Du wirst nicht einmal das Klo
finden! Ich
antwortete, ich hätte ja noch 5 Wochen Zeit, ging in die
nächste
Stadtbibliothek und entlieh Russisch
für
Anfänger in 30 Stunden. Am Tage der
Abreise konnte
ich dann zumindest fließend
kyrillisch lesen und schreiben, guten Tag, bitte, danke und
Entschuldigung
sagen, sowie einfache Sätze in der Vergangenheit und Gegenwart
bilden.
Auf
der Brücke bin ich inzwischen zu unerwartetem Ansehen
gekommen. Einmal, als ich
leise und möglichst unauffällig in der Ecke stehe um
zuzusehen, ist über Funk
war gerade der dänische Wetterbericht zu hören. Auch
wenn ich nicht dänisch
spreche, so verstehe ich immerhin, daß sie sagen, es
würde zwar etwas windig,
aber ansonsten schön werden. Etwas später unterhalten
sich Schenja und der Chief-Mate
auf
russisch über das Wetter. Aus Scherz fragen sie mich um meine
Meinung. Ich sage
auf englisch, es würde schön werden, vielleicht etwas
windig. Erwartungsgemäß
glaubt mir der Chief-Mate nicht.
Dennoch wird das Wetter schön und am nächsten Morgen
kommt auch der Wind.
Jetzt kennt auch der Chief-Mate meinen
Namen.
Als
ich höre, daß unser Chief-Mate
Maxim
Nicolaevitch heißt, erzähle ich
ihm – auf russisch - daß auch mein Sohn
Maxim Nicolaevitch heißt.
Er hat auch
einen Sohn von 13 Jahren. Der hatte gestern Geburtstag. Wir sprechen
über zu
Hause – auf russisch ! Wenn ich etwas gar nicht verstehe,
wirft er englische
Brocken ein. Ich soll mich bemühen, russisch zu sprechen. Ich
krame alles
zusammen, was ich mir zu Hause aus meinem Buch herausgelernt habe. Er
versteht
mich. Nun habe ich einen weiteren Termin. Russischstunde mit Chief-Mate.
Derweil
stehen Sascha und Hinrich an Ruder und Ausguck. Sascha kommt zur
Brücke und
wedelt mit seiner Jacke. Er sagt, er sei ein Extrasegel. Ich
übersetze für Maxim
Nicolaevitch und er schlägt vor, Sascha unter den
Bugspriet zu spannen.
Donnerstag,
8.4.99, 6.00 Uhr. Sascha ist seekrank. Daher hat er mich auch nicht
rechtzeitig
geweckt. Nun schnell anziehen und ab zur Brücke. Ich
muß doch längst am Ruder
stehen. Ich werde – freundlich – darauf aufmerksam
gemacht, daß ich zu spät
bin. Peinlich. Es ist Flaute. Wir dümpeln nur so vor uns hin.
Am Horizont ist
derselbe Küstenstreifen zu sehen, der gestern abend zu sehen
war – dabei sind
wir die ganze Nacht lang gesegelt. Strömung und Abtrift
bewirken allerdings, daß
wir kaum vorwärts kommen, auch wenn sich am Bug das Wasser
kräuselt.
Frustrierend. Schenja will mich
aufheitern. Er zeigt mir, daß hinter mir die Sonne aufgeht.
Ich drehe mich um
und sehe einen Sonnenaufgang von unglaublicher Schönheit. MIR
ist nun ganz in
das Licht dieses Morgens getaucht. Ich bin restlos verliebt in unser
Schiff. Während
ich staune, merke ich nicht, daß ich das Schiff umgedreht
habe. Maxim
Nicolaevitch kommt aus der Brücke. Der
Kapitän hat angerufen, wer da am
Ruder stünde. Weltuntergang. Schenja
nimmt die Schuld auf sich und bügelt meinen Schaden aus. Ich
erhalte die
Anweisung, solange meinen Fotoapparat zu holen. Heute bekomme ich
keinen Kaffee.
Wenig
später sagt uns Maxim Nicolaevitch,
daß unter uns ein U-Boot sei. Die Nato will wohl wissen, was
die Russen so
lange vor Norwegen suchen. Als sie sehen, daß wir unter
Segeln sind und nicht
wegkommen, verziehen sie sich vorerst. Unheimlich. Was mag wohl im
Kosovo jetzt
los sein. Vielleicht haben wir Krieg und wissen es gar nicht. Wir sind
völlig
von der Außenwelt abgeschlossen. Die Russen bekommen keinen
russischen Sender
hinein und einen anderen hören sie nicht. Nur der Koch hat in
der Kombüse den
Engländer an und hört Jazz.
Wir
sind erleichtert, als Wind aufkommt und wir wieder Fahrt machen. Wir
halsen und
nehmen Kurs auf Helgoland.
Logbuch
8.4.99, 15.00 Uhr
Luft:
8°C
Wasser:
4°C
Wind:
10m/s aus W
Kurs:
210°
Geschwindigkeit:
4kn (hart am Wind)
Position:
57° 18‘N 07° 51‘ E
Wassertiefe:
60m
Etmal:
102,8 Meilen ( alles unter Segeln und fast immer am Wind)
Entfernung
zur Küste: 25 Meilen
Entfernung
Bremerhaven: 210 Meilen
Bei
schönem Wetter geht es jetzt endlich einmal weiter nach oben
auf den Mast.
Bootsmann Igor hat unterhalb der
Bram
zu tun und fragt, wer mitwill. Nils, Christine und ich wollen.
Christine bleibt
auf der Mars, Nils und ich steigen weiter. So ganz geheuer ist die
Sache nicht.
Wir klinken uns lieber zwischendurch an den Webleinen ein. Als Igor das sieht, fällt er vor
Lachen fast aus dem Rigg.
Es ist wunderschön
dort oben.
Als wir sehen, daß die nächste Saling keinen
Durchstieg hat und wir einen Außenüberstieg
machen müßten, Igor
aber keine Lust
verspürt, mit uns weiter zu klettern, beschließen
wir, auf der Bram zu
bleiben. 35m über der Wasserlinie ist auch schon ganz
schön hoch.
Plötzlich aufkommender Nebel
und Kälte treiben uns dann doch wieder nach unten. Morgen ist
auch noch ein
Tag.
Freitag,
9.4.99, 6.00
Uhr. Ruderwache.
Wir segeln weiterhin hart am Wind. Ich bekomme Anweisung, das
Steuerrad maximal eine viertel Umdrehung nach rechts oder links zu
drehen.
„Wenn du aus dem Wind fährst, gibt es Segelalarm.
Dann hängt dich die
Mannschaft an der Großrah!“ Wie beruhigend. Ich
mache es gut. Es gibt wieder
Kaffee. Ich bleibe bis 7.30 am Ruder. Dann werde ich zu
Frühstück geschickt.
Ich habe mir gerade Tee eingegossen und mein Brot mit Pflaumenmus
beschmiert, da
geht es los: „Drr-drr, drr-drr, drr-drr, sail alarm, all
hands on deck in ten
minutes!“ Alle sehen mich an. Ich war‘s nicht
– ehrlich!
Wir holen die Segel ein und
motoren weiter. Wir sind zu dicht an die dänische
Küste gekommen und dürfen
hier nicht unter Segeln fahren. Gegen den Wind kommen wir nur mit Motor
oder großem
Umweg weg.
Die Mannschaft langweilt sich.
Wir auch. Leises Murren kommt auf. Die Bordlautsprecher
verkünden: Klarschiff
machen. Schrubber, Kernseife, Wasserschläuche werden geholt.
Ich putze
hingebungsvoll die Schiffsglocke und poliere sie auf Hochglanz. Gerti
und Markus
beschäftigen sich mit einem weiteren Messingteil, dessen
Verwendungszweck uns
allerdings unklar bleibt. Wir sind völlig irritiert, wie
schwer diese Dinge
sind – hatten doch Andrej
und Maxim,
beide eher schmächtig, sie vorhin ganz locker getragen.
Logbuch
9.4.99, 14.30 Uhr
Luft: 10°C
Wasser: 5°C
Wind: 11m/s aus SW
Kurs 200°
Geschwindigkeit: 5,0kn (Motor)
Position: 56°02‘N 07°30‘E
Wassertiefe: 30m
Etmal: 62,7 Meilen
Entfernung zur Küste: 20 Meilen
Entfernung Bremerhaven: 167
Meilen
Wir
haben uns schon damit
abgefunden, bis Bremerhaven mit dem Motor zu fahren, denn wir sollen ja
morgen
früh am Lotsenpunkt sein, da gibt es noch einmal Segelalarm.
Ab 16.00 Uhr
segeln wir noch einmal. Natürlich wieder am Wind.
Um 17.00 Uhr dann Kaffee trinken
mit Maxim Nicolaevitch in
Kartenhaus. Chief-Engineer
Valerij
hat nichts zu tun und gesellt sich dazu. „Hey
Barbara,“ sagt Maxim
Nicolaevitch, „darauf kannst du stolz sein: Du hast
mit Chief-Mate
und Chief-Engineer ein
Rendezvous!“ Wir albern herum und haben eine
Menge Spaß. Die beiden lästern auf russisch
über alle möglichen Leute. Ich
verstehe immer nur: „...na Sibirje!“ Sie wollen
alle nach Sibirien schicken.
Mir tun Sascha und Hinrich leid, die Wache haben.
Sascha drückt sich an der Tür herum,
aber traut sich nicht,
zu fragen, ob er hereinkommen darf. Das kann ich ihm nicht abnehmen.
Um 18.00 Uhr dann Ruderwache. Kapitän
Antonov ist jetzt auch auf der Brücke. Ich
genieße es, MIR unter Segeln
durch die Nordsee zu steuern. Wir machen Fahrt (immer noch hart am
Wind) und sie
reagiert selbst auf kleinste Korrekturen mit dem Steuerrad als
wäre sie
lebendig. MIR ist ein tolles Schiff. Ich bin stolz, auf ihr segeln zu
dürfen.
Vor lauter Begeisterung vergesse ich, daß ich Backschaft
habe. Es ist niemand böse.
Nach
dem Abendessen gehen die interessierten Trainees mit Nicole
noch einmal zur Brücke. Dort erklärt sie die
Funktionen der
Geräte. Derweil kommt eine Notmeldung durch den Fernschreiber.
Ein Fischerboot
ist im Skagerrak vermißt, vermutlich gesunken. Seit einer
Woche kein Kontakt
mehr. Wir denken an das viele Treibholz von neulich und ich bereue
meine
zynischen Worte. Sind wir etwa an Schiffbrüchigen
vorbeigefahren? Haben sie uns
etwa gesehen und wir haben sie nicht bemerkt? Alle sind sehr betroffen
aber
jetzt kann man auch nichts mehr machen. Gott sei ihren Seelen
gnädig! Wir sind
schon zu weit weg. Andere müssen suchen.
Isa und Stephan bekommen von
allem nichts mit. Sie sind am Klavier und üben das Ave Maria, denn Isa ist Sängerin
und gibt heute – an unserem
letzten Abend – ein Konzert für uns und die Crew. Um
22.00 Uhr soll es
losgehen.
Kapitän
Antonov
hat
jedoch andere
Pläne. Er hat für 22.00 Uhr ein
Segelmanöver in vollständiger Dunkelheit mit
Flutlicht anberaumt. Als die
Strahler angehen und unsere Segel im Licht aufleuchten sind wir alle
gebannt von
der Schönheit dieses Anblickes. Die Gesichter der Crew
strahlen. Als der
Oberbootsmann fragt, wer auf die Obermarsrah geht, ist der Doc nicht mehr
zu
halten. Begeistert brüllt er: „Mnje!“
(ich). Schließlich geht die ganze Crew hoch. Wir Trainees
müssen aus
Sicherheitsgründen unten bleiben. Schade. Ich wäre
gerne mitgegangen, aber
auch für uns gibt es genug zu tun. Es werden alle Segel
eingeholt, die Rahen
dicht gebrasst, das Schiff für den Hafen klar gemacht. Alle
haben Spaß. Es ist
ein geordnetes Durcheinander. Auch die Trainees wissen jetzt, was
passiert, wenn
man an welcher Leine reißt. Wir rennen uns vor
Übermut fast über den Haufen.
Das ganze hat schon fast
etwas von Piraterie an sich und dabei sind wir doch ein Schulschiff. In
den
Augen der Offiziere sehe ich Wehmut, daß sie am dem lustigen
Treiben keinen
Anteil haben, in den Augen der Mannschaftsgrade sehe ich
Glück. Jetzt weiß
ich, warum sie hier zur See fahren. Es ist Freude. Ich beneide sie um
ihrem
Job und wünschte,
ich könnte ewig mit ihnen ziehen – auch wenn ich nur
ein paar lumpige Dollar
dafür bekäme.
Auf der Brücke steht Kapitän
Antonov und lächelt. Er weiß das schon
lange.
23.30
Uhr. Die Arbeit ist getan.
Isa singt wunderschön. Wir sitzen noch die halbe Nacht
zusammen, bis wir erschöpft
in die Betten fallen. Als ich am Morgen zur Brücke komme,
erfahre ich, daß die
meisten Trainees nicht zur Wache erschienen sind.
Schenja hatte geglaubt, ich würde auch nicht kommen,
aber Maxim
Nicolaevitch hatte gemeint, ich käme bestimmt. Beide
strahlen, als ich in
die Brücke trete. Wir steuern von drinnen, trinken Kaffee und
unterhalten uns
russisch, mit einigen englischen Brocken. Ich lasse mein
Frühstück ausfallen
und bleibe bis zum Ende der Wache um 8.00 Uhr.
Unter
den Trainees ist das Lager gespalten. Einige meckern, daß wir
noch so weit weg
sind. „Hätte Antonov
nicht noch so
lange gesegelt, wären wir längst da...“
Stephan, Nicole, Isa und ich
können das nicht nachvollziehen. Wir sind
voller Bewunderung für unseren Kapitän. Auch
daß die Crew muffelig sei können
Stephan und ich nicht bestätigen. Es ist wohl immer dasselbe:
wie es in den
Wald hinein schallt, so schallt es auch hinaus. Na ja,
Meckerköpfe gibt es
immer und den meisten hat der Törn so viel Spaß
gemacht, daß sie auch wieder
einmal fahren wollen.
Wie zur Bestätigung kommt jetzt auch noch einmal etwas Sturm auf. MIR kommt noch einmal richtig ins Rollen und wir kommen noch langsamer voran. Die Strömung ist gegen uns. Der Wind bläst uns entgegen und die Takelage mit den gepackten Segeln ist ein enormer Windfang. Jetzt kommen wir wirklich in Zeitverzug. Voraussichtliche Ankunft Bremerhaven ist jetzt 20.00Uhr. Wir erreichen die Deutsche Bucht in schließlich das Wattenmeer. Stephan hat Ruderwache. Wir malen uns aus, was passieren würde, wenn wir jetzt auf Grund liefen und auf die nächste Flut warten müßten. Dann gäbe es wohl eine Meuterei. Zum Glück passiert nichts. Ich gehe an den Bug, um Schiffe zu beobachten. Dabei beachte ich zum ersten Mal nicht den ewigen Rhythmus der Nordsee – 11 kleine Wellen, 3 große. Zum ersten Mal auf der gesamten Reise kommt eine Welle vorne über und ich stehe da wie ein begossener Pudel. Brüllendes Lachen vom Großmast. Die Matrosen haben gerade Zigarettenpause. Ich stimme mit ein. Es sieht sicher auch zu komisch aus. Dann begebe ich mich zum Trockenraum und ziehe meine verdreckte andere Jeans wieder an. Nischiwo!
Um 14.30 Uhr erreichen wir dann doch noch den Lotsenpunkt. Der Lotse geht an Bord. Die Reise ist zu Ende. Kapitän Antonov ruft uns auf das Achterdeck und verteilt Diplome. Für jeden hat er ein Lächeln, einen Händedruck und ein paar freundliche Worte übrig. Isa und Nicole sagen beide, daß sie so einen Kapitän noch nie erlebt haben und Isa ist fast ein wenig traurig, daß sie zu KRUZENSHTERN wechseln muß.
Als ich das Steuerrad sehe ist es festgebunden. Mit der angelegten Takelage und den angebundenen Steuerrad sieht MIR aus wie ein wunderschöner Vogel, dem sie die Flügel gestutzt haben und den sie gefangen halten. Ich werde auf einmal traurig. Ich gehe an den Bug. Die Tränen rollen mir über die Wange. Doc und Schenja trösten mich. Ein Seemann blickt nicht zurück. Freue dich auf den Hafen und auf deine Familie! Als wir in die Weser einlaufen und ich das Meer nicht mehr sehe, geht es mir besser. Die Schlepper kommen. Es gibt Arbeit. Der Lotse geht von Bord. Die Hafenpolizei paßt auf, daß wir keine unerlaubten Immigranten einschleusen. Ich schäme mich für das Mißtrauen, das meinen Freunden entgegengebracht wird. Ich bin nun nicht mehr traurig. Ich habe eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Ich bin für ein Schiff gekommen und habe Menschen gefunden. Ich habe mich noch niemals irgendwo so wohl gefühlt wie hier.
Jetzt wird es noch einmal richtig spannend. Wir werden zum Neuen Hafen geschleppt. Das ist Millimeterarbeit. Eine Drehbrücke, durch die wir müssen ist so eng, daß wir nur knapp hindurch passen. Auf der einen Seite des Schiffes steht Kapitän Antonov, auf der anderen Seite steht Maxim Nicolaevitch. Beide dirigieren die Crew, die mit Fendern dafür sorgt, daß es keine Schramme gibt. Um 20.30 Uhr liegen wir dann am Hafen fest. Nach den Zollformalitäten gehen einige Trainees mit knappem Gruß von Bord. In der Gegenrichtung stürmt Sascha, Isas Verlobter. Die Crew hat viele Freunde. Alle fallen sich in die Arme. Unser Trainee Sascha wird von seiner Mutter abgeholt, die sichtlich erleichtert ist, daß sie ihn wieder hat. Die Matrosen erhalten Landgang. Schenja sehe ich nicht wieder. Er hat bis Sonntag abend frei und ist in irgendeiner Hafenkneipe versackt. Morgens schläft er dann noch und ist noch nicht wieder an Deck als ich abreisen muß. Nischiwo. Er hat mir seine St.Petersburger Adresse gegeben und ich ihm einen Gruß auf einer Tafel Schokolade hinterlassen.
Manfred, Markus, Klaus, Stephan, Gerti und ich bleiben noch eine Nacht. Stephan und ich gehen in die Stadt zum Telefonieren, dann verabschieden wir uns von Isa und Sascha. Am Ende sitzen wir mit Nicole auf der Kaimauer und trinken ein Bier. An Deck dürfen wir das nicht. Das mache einen schlechten Eindruck hatte der wachhabende Offizier gesagt. Ich gehe zum Strand, um das Meer noch einmal zu sehen und den Wind noch einmal in den Haaren zu spüren, dann gehe ich ins Bett. Mir fehlt das Plätschern der Wellen und das gleichmäßige Schnarchen meines Mitbewohners. Ich rolle nachts gegen die Wand, da das Schiff nun nicht mehr krängt.
Sonntag, 11.4.99. Es ist wieder Ostersonntag. Die orthodoxen Russen feiern heute Ostern. Um 7.00 Uhr kommt der Weckruf, dann 7.30 Uhr Frühstück. Die anderen sind schon weg. Es bleiben Stephan, Nicole und ich. Ein letztes Mal Backschaft. Es ist ungewohnt, wenn die Küche nicht mehr schwankt.
Den Vormittag verbringen wir im Schiffahrtsmuseum. Dort gibt es eine Museumsbrücke. Der Museumsmitarbeiter erklärt uns, daß diese Geräte völlig veraltet seien und niemand mehr damit navigiere. Stephan und ich grinsen uns an. Wir haben bis nach Bremerhaven damit gefunden. Wir kennen diese Geräte gut. Zur Ehrenrettung von MIR ist allerdings anzumerken, daß parallel ein Computer mit dem modernen System läuft. Auf der Übungsbrücke allerdings stand die alte Technik plus Karten und Besteck uns interessierten Trainees zum selber navigieren zur Verfügung. So konnten wir den Verlauf der Reise dann immer mitverfolgen, ohne permanent auf der Brücke fragen zu müssen.
Als wir an Bord zurückkehren, sind eine Menge Touristen an Bord. Neugierig spionieren sie in jede Ecke. Schilder wie Crew only ziehen sie geradezu magnetisch an. Als wir im ‚Kasino‘ Mittag essen steckt eine Frau mit Pelzmütze den Kopf durch die Tür. „Guck einmal,“ flötet sie zu ihrem Mann, „die Russen haben sogar Frauen an Bord.“ Bei mir brennt eine Sicherung durch. Ich mache ihr freundlich, aber bestimmt klar, daß sie hier nichts zu suchen hat. Sie erschrickt. Sie hatte wohl nicht erwartetet, daß jemand Deutsch spricht.
Später stehen wir mit Kapitän Antonov und den wachhabenden Offizieren auf der Brücke und werden von den Leuten begafft wie Tiere im Zoo. Ein Vater hält seinen Sohn hoch. „Guck einmal, da sind Russen!“. Nicole schlägt vor, ein Schild mit ‚Bitte nicht füttern!‘ anzubringen.
Der Kochsmaat gibt uns noch ein fürstliches Lunchpaket mit. Ich bestelle Grüße am den Koch. Ich habe zwei Kilo zugenommen, dank seiner sensationellen Kost. Er hat gewiß einige Michelinsterne verdient, gab es doch Highlights wie Lachssuppe oder Blinis. Kapitän Antonov schenkt uns noch Seekarten von unserer Reise. Dann müssen wir von Bord. Unser Zug wartet nicht. Wir verabschieden uns und versprechen, uns in vier Wochen in Hamburg zu treffen. Natürlich werde ich wieder einmal mitfahren. Nächstes Jahr, oder später. Nie jedoch werde ich die Menschen an Bord von MIR vergessen.
100%
Gentleman hilft mir Kapitän
Antonov in meinen Rucksack. Ich sage Lebewohl zu MIR und gehe
über die
Gangway.
Ich sehe mich nicht um.
(Berlin, im April 1999)