S/Y "Elektra" 20.-27.09.03

ein katastrophaler Törn

 

Was ursprünglich als Urlaubstörn geplant war und zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch dienen sollte, wurde schließlich zur Bewährungsprobe und zum Survival-Training für die Crew der "Elektra"...

Zweimal im Jahr veranstaltet die Segelschule in Berlin, bei der ich meine Sportbootscheine gemacht habe, ein Skippertraining für ihre ehemaligen Schüler, damit sie nicht aus der Übung kommen. Jörg, der Segellehrer dieser Schule ist dann als Skipper an Bord und es wird nach Möglichkeit alles das in Realität geübt, was man für den SBFS theoretisch gelernt hat. Wer weiterkommen will, sammelt auf diesen Törns die nötigen Meilen für den SKS oder SSS. Einige der Mitsegler des Skippertrainings vom vergangenen Herbst hatten nun beschlossen, auch dieses Jahr wieder eine Yacht zu chartern und miteinander zu segeln. Jörg wollte wieder als Skipper dabei sein und freute sich darauf, diesmal nicht mit Anfängern, sondern mit einer bereits erfahrenen Crew in See zu gehen. Dementsprechend war die geplante Route etwas anspruchsvoller und das Schiff etwas größer und technisch besser ausgestattet. Wir wollte die Nächte durchsegeln, mit dem Radar umgehen lernen und schwierige Ansteuerungen meistern... aber es kam ganz anders.

Eine Woche vor Beginn des Törns zog sich Jörg einen Achillessehnenabriss zu und musste ins Krankenhaus. Der Törn sollte aber dennoch stattfinden, denn unter den Mitseglern befand sich auch Achim, der bereits seit vielen Jahren aktiv segelt und auch schon als Skipper mit der "Elektra", einer 13m langen Bavaria 41H Yacht, unterwegs gewesen ist. Er sollte Jörg vertreten und als Skipper diesen Törn leiten. So fuhren wir dann zu fünft nach Breege (Rügen) um dort unser Schiff zu übernehmen - Achim als Skipper, ich als Navigator, Uli, Wini und Thorsten als Mitsegler. Sonntag ganz früh sollte die Reise losgehen. Ein Auslaufen am Samstag Abend war nicht mehr möglich, da diverse kleinere Mängel am Schiff uns bis zum Einbruch der Dunkelheit in Breege aufhielten und die Fahrwasser im Breeger Bodden nur bei Tageslicht befahrbar sind.

Seewetterbericht DWD vom 20.09.03 08.00 UTC:
Südliche Ostsee: West 4, süddrehend 3, See 0,5m.
Aussichten bis Sonntag Mittag: Südost bis Süd 4

Trend für die Ostsee: 
bis Sonntag Abend: südliche Winde 3-4, einzelne Frühnebelfelder
für Montag: Süd bis Südwest 4, zunehmend 6, einzelne Frühnebelfelder
für Dienstag: Südwest um 6, westdrehend 7, Schauerböen

21.09.03

Morgens beim Aufstehen teilt uns dann Uli mit, dass er sich kurzfristig entschlossen hätte, nicht mitzufahren. Er vertraue dem Schiff nicht und habe ein komisches Gefühl, sein Auto stände bereits an der Pier, seine Sachen wären gepackt, er ginge. So sind wir nur noch 4...

Logbuch 21.09.03, s/y "Elektra"
Uhrzeit Wind Seegang Barometer Kurs Log Segelführung Meilen Bemerkungen
07.30 SSW 2-3 1 1017 - - - - Ablegen in Breege unter Maschine
07.55 SSW 2-3 1 1017 FW 3 Gr, Genua   dem Fahrwasser nach Hiddensee folgend
09.37 SSW 2-3 2 1017 350° 5 Gr, Genua 11,0 Tonne 1/2 Hiddensee passiert
11.30 W 5-6 4 1016 080° 6 - 25,1 54°47,6N 013°12,6E Segel eingeholt, Motor an
12.10 W 2-3 4 1019 080° 5,5 Genua 29,0 54°48,3N 013°18,8E Genua wieder gesetzt, Kurs Bornholm
12.30 W 2-3 4 1019 080° 7 Genua, Groß   Groß mit Bullenstander gesetzt, Motor aus
13.45 W 5 4 1020 080° 8 G, Gr 42,2 Groß 1. Reff, Genua 2/3
15.00 W 7-8 5 1026         Genua zerfetzt in Bö 85 kn, Maschine an, Manöver zum Bergen von Groß und der Reste der Genua
15.10       270°       Groß beim Bergen gerissen.
        270°       Beim Bergeversuch der Genuareste ging Mitsegler Thorsten über Bord - der Sicherheitsgurt hielt, die Rettungsweste öffnete sich nicht.
16.25       270°       Weitere Teile der Genua fliegen weg und kommen in die Schiffsschraube! Manövrierunfähig!!
16.30 W 58 kts 8 1026 060° 3,8 -   Ablaufen vor Topp und Takel Richtung Bornholm, Absetzen einer Dringlichkeitsmeldung auf Kanal 16

 

PAN-PAN PAN-PAN PAN-PAN

all stations - all stations - all stations

This is s/y "ELEKTRA"  ELEKTRA  ELEKTRA
call sign delta delta 3-6-7-4
in position 54°54.5N 014°02.9E

We blew out our fore sail in gust and parts of it got tangled into our propeller + we are now adrift in direction of Bornholm + our main sail is also broken + the vessel is not under command + is anybody near us to help us to reach the nearest port or can anybody give us towing assistance + over

16.45 antwortet Lyngby Radio auf unsere Funksprüche. Leider ist die Verständigung sehr schlecht wegen vieler Störgeräusche. M/V "Natalie" DDKO meldet sich und kommt vorerst zu Hilfe, muss dann aber abdrehen, weil ihr Kapitän einen Herzanfall erleidet und sie nun so schnell wie möglich nach Rönne (Bornholm) laufen müssen. Sie leiten aber ein MAYDAY RELAY über GMDSS ein sodass uns jemand anders zu Hilfe kommen kann.

Kurz darauf meldet sich erneut Lyngby Radio und die Verständigung ist diesmal besser. Nachdem klar ist, dass wir uns zur Zeit nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befinden und die Situation wenigstens solange es hell ist einigermaßen in Griff haben, wird vereinbart, dass wir weiterhin vor Topp und Takel Richtung Rönne ablaufen, in Kontakt mit Lyngby Radio bleiben und sie uns bevor wir so dicht an die Küste kommen, dass es gefährlich wird, Hilfe schicken.

18.00 Lyngby Radio kündigt uns an, dass der SAR-Kreuzer "Mads Johannsen" uns entgegen kommen wird.

18.07 SAR "Mads Johannsen" meldet sich über UKW. Nachdem wir ihm unsere Position und die Geschwindigkeit und Richtung, in der wir treiben durchgegeben haben, teilt er uns mit, dass seine ETA bei uns in ca. 1,5 Std. sein wird. Wir vereinbaren Funk-Standby auf Kanal 11.

19.34 trifft SAR "Mads Johannsen" bei uns ein. In Position 54°56.5N 014°22.1E wird die Schlepptrosse übergeben und wir werden nach Rönne geschleppt.

21.56 Hafeneinfahrt Rönne

22.15 fest Rönne Südhafen

So hatte diese furchtbare Erfahrung schließlich ein vorläufiges gutes Ende genommen. Wir waren alle 4 gesund und bis auf eine starke Prellung bei Thorsten auch unverletzt in Bornholm angekommen. Wir haben unser Schiff nicht verloren und die entstandenen Schäden sind reparabel. Nur die Genua ist als Totalschaden zu betrachten. Zur Ruhe kamen wir trotzdem noch lange nicht. Zu stark waren die Eindrücke gewesen - die Bilder im Kopf noch zu frisch.

Da war das Bild von Thorsten, der plötzlich außenbords hing, dann schließlich an Deck klettern konnte, sich trockene Sachen anzog und schließlich noch stundenlang das Steuer übernahm. Da war der Fußboden, der plötzlich zur Wand wurde als diese Bö uns auf ungefähr 80° überlegte und Wini und ich gemeinsam am Steuerrad hingen und versuchten, das Schiff wieder aufzurichten. Da war dieses Verlassenheitsgefühl als auf unsere Funksprüche zuerst niemand antwortete. Da war die blanke Angst als wir manövrierunfähig treibend plötzlich eine große Fähre direkt auf uns zu kommen sahen und dann die große Erleichterung als diese sich über Funk bei uns meldete und uns mitteilte, dass sie uns sieht und fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Da war das entsetzte Gesicht von Wini, der am Steuer stand und sich umdrehte als er fühlte dass es hinter ihm so merkwürdig kalt wurde. Er blickte in den Kamm einer Welle, die mindestens doppelt so groß war wie er selbst. Da war die Seekrankheit, die jeden von uns packte, der den Fehler machte, länger als 2 Minuten unter Deck zu bleiben verbunden mit der Notwendigkeit, eben dorthin gehen zu müssen um regelmäßig die Position zu machen und zu prüfen wohin es uns treibt und wann wir dabei in Gefahr der Strandung kommen würden. Da war das aschgraue Gesicht unseres Skippers direkt nachdem die Manövrierunfähigkeit eingetreten war. Da war aber auch unser Karma, dass wir es schaffen würden und schließlich das Wissen, dass uns dabei geholfen würde, auch wenn es noch sehr lange dauern würde, weil erst der Kapitän der "Natalie" abgeborgen werden musste. Und schließlich war da die große Erleichterung als die "Mads Johannsen" in Sicht kam und wir wussten, dass nun das Schlimmste vorbei war.

An dieser Stelle möchte ich alle, die diesen Bericht lesen, bitten die Arbeit der Seenotretter zu unterstützen und sei es nur dadurch, dass man in die kleinen Schiffchen, die die DGzRS vielerorts aufgestellt hat, ab und zu etwas hineinsteckt. Die Jungs sind super und ohne die "Mads Johannsen" hätten wir die Nacht nicht überstanden.

 

22.09.03

Nach einem Arztbesuch beim Schiffsarzt der "LILI MARLEEN" (Kreuzfahrtsegler) entschließt sich Thorsten mit der Fähre von Rönne nach Deutschland zurückzukehren. Er hat starke Schmerzen, die wahrscheinlich von der kräftigen Prellung herrühren, die er sich beim Überbordfallen zugezogen hat. Mit Bordmitteln kann aber der Schiffsarzt keinen Rippenbruch feststellen und Thorsten möchte sich lieber in Deutschland röntgen lassen.

Am Nachmittag holt der Taucher der Hafenbehörde 2 Fetzen der Genua aus der Schiffsschraube. Der Motor läuft danach wieder. Da für den nächsten Tag aber erneut Sturm angesagt ist, ist an ein Auslaufen Richtung Rügen zur Zeit nicht zu denken.

23.09.03

Thorsten ist heute morgen abgereist. Wir verbleibenden 3 klaren das Schiff auf, schlagen das Großsegel ab und geben es zur Reparatur. Achim zerlegt den Baum und zieht das bis dahin nicht vorhandene 2. Reff ein. Die Starterbatterie und die Standheizung funktionieren nicht. Zum Glück kennt sich Achim gut mit Yachten aus und verbringt den Hafentag mit diversen Instandsetzungsarbeiten.

24.09.03

Der Wind hat endlich etwas nachgelassen. Die Berufsseeleute, die im selben Hafenbecken wie wir liegen, raten uns, heute abzureisen. Der Wind ist günstig um Sassnitz anzulaufen. Gegen Abend soll er noch etwas nachlassen. Nachdem wir am Morgen unser Großsegel zurück bekommen haben, schlagen wir es an und wenig später verlassen wir Rönne mit Ziel Sassnitz.

Unerwartet schwer fällt es mir, wieder in See zu gehen. Es gibt keine Ausrede mehr, zu bleiben - das Schiff ist wieder in Ordnung, der Wind ist zwar noch stark aber kein Sturm mehr. Dennoch habe ich beim Durchfahren der beiden letzten Molenköpfe in Rönne das starke Verlangen, im sicheren Hafen zu bleiben und nicht wieder in die immer noch wilde See hinauszusteuern. Ich stehe am Ruder und es wäre so einfach, Ruder zu legen und umzukehren. Aber ich weiß auch, dass wenn ich das tue, ich vielleicht nie wieder segeln werde. Ich atme tief durch und steuere die "Elektra" wieder hinaus in die See.

Wir laufen vorerst unter Maschine, doch Achim ist der Meinung, dass das Schiff unter Segeln ruhiger liegen würde. Wini und mir gibt das tuckern des Diesels aber ein Gefühl der Sicherheit. So schließen wir den Kompromiss, das Segel im 2. Reff zu setzen und die Maschine auf halber Kraft mitlaufen zu lassen. So lässt sich das Schiff gut steuern und liegt trotzdem so ruhig wie unter Segeln. Gegen 17.00 Uhr werden dann die Wellen langsam kleiner. Wir kommen in die Abdeckung von Rügen und der Fetch ist daher nicht mehr so lang, dass sich die großen Seen aufbauen könne, mit denen wir es bisher zu tun hatten. Wir wagen es, die Maschine abzustellen und laufen nur unter Segel weiter.

21.25 sind wir fest in Sassnitz.

25.09.03

Gegen Mittag verlassen wir Sassnitz mit Ziel Vitte (Hiddensee). Der Wetterbericht verspricht SW 4-5, so dass wir hoffen, mit halbem Wind und später am Wind segeln zu können.

Beim Auslaufen aus Sassnitz sehen wir die "TOVARISHCH", die von Wilhelmshaven nach Stralsund verlegt wird. Sie soll dort ihren neuen Heimathafen bekommen und als Museumsschiff dienen.

Dieser Tag ist ein richtig schöner Segeltag. Die Sonne scheint, der Wind ist günstig, wenn auch deutlich schwächer als angesagt. Der Abend verwöhnt uns mit einem herrlichen Sonnenuntergang der Kap Arkona in ein herrliches Licht taucht.

19.30 erreichen wir das Fahrwasser Hiddensee. Die Richtfeuer weisen und den Weg nach Vitte, wo wir um 21.15 im Fischereihafen festmachen. Dabei stellen wir fest, dass unsere Maschine nur noch rückwärts läuft... Achim verschwindet für die nächste Stunde im Motorraum und schließlich funktioniert das Teil wieder.

26.09.03

Hiddensee ist wirklich hübsch und so mache ich nach dem Frühstück erst einmal einen Rundgang. Nach Breege sind es nur 12 Meilen. Wir sind nicht in Eile.

Gegen Mittag laufen wir aus. Wegen des erneut heftigen Windes motoren wir durch die engen Fahrwasser nach Breege, das wir am frühen Nachmittag erreichen.

27.09.03

Nach dem Frühstück wird die "Elektra" aufgeklart und schließlich wieder übergeben. Ob und wie viel Geld, das wir für die Reparaturen vorgestreckt hatten wir wieder bekommen, wird sich zeigen. Die Kaution ist auf jeden Fall futsch. Der Schadensbericht ist geschrieben, die Versicherung wird sich dazu äußern, teilt man Achim mit. Wir bekommen den Eindruck, dem Vercharterer wäre es lieber gewesen, wir hätten den Kahn komplett versenkt, anstatt und Mühe zu geben, ihn wieder herzurichten...