SEA CLOUD 15.07. bis 19.11.09…

…von einer, die auszog, um Segelschiffe zu fahren


15.07., Piräus. Morgens werde ich vom Agenten im Hotel abgeholt und zum Schiff gebracht. Die erste Begegnung mit einem Schiff, das für die nächste Zeit das zu Hause wird, ist immer etwas Besonderes. In diesem Fall ist es Liebe auf den ersten Blick. Ich bin fasziniert von der Eleganz des Rumpfes, von der Symmetrie der hoch aufragenden Masten. Der Empfang ist herzlich. Zahlmeisterin Belinda zeigt mir alles, kleidet mich ein und lässt mich erst mal ganz viele Papiere lesen und unterschreiben: Uniform Code, Drug & Alkohol Policy, Safety Policy, Watch Plan, Familiarization Sheet und natürlich die Musterrolle. Jetzt bin ich offiziell Crewmitglied. Auch wenn die Uniform noch nicht ganz passt und das Namensschild provisorisch überklebt ist. 

Eingearbeitet werde ich von Serhiy, unserem ukrainischen 2. Offizier. Er war gerade noch selbst 3. Offizier und ist für die Dauer meines Einsatzes befördert worden. So kennt er sich perfekt aus und kann mir viele wertvolle Tipps geben. Auf der Brücke lerne ich Joanna, unsere polnische 1. Offizierin, kennen. Mit ihr verstehe ich mich auf Anhieb gut. Kapitän ist Todd Burgman aus den USA, ein sehr ruhiger, angenehmer und kompetenter Mann, der das Schiff leise und aus dem Hintergrund führt. Zu meinem großen Erstaunen spricht er fließend deutsch.

Gegen Abend laufen wir aus. Ich fühle mich auf der Brücke sofort zu Hause. Viele andere, die vom Containerschiff kommen, sind dort erst mal ziemlich verloren. Kein Gerät passt zum anderen, alles ist eng und verwinkelt, keine elektronische Seekarte, kein Schiffsführungscomputer… für mich ist es, als ob ich nach Hause gekommen bin. Dies ist eine Brücke, wie ich es gewohnt bin von den anderen Segelschiffen und auch vom Kümo. Die Enge stört mich auch nicht, denn ich stehe meistens sowieso draußen. Ich bin der Ansicht, dass die Seefahrt in der realen Welt stattfindet und nicht virtuell auf irgendwelchen Computerbildschirmen. Dies gilt umso mehr, wenn das Schiff unter Segeln ist. Der Windanzeiger zeigt mir zwar Richtung und Stärke des (relativen) Windes, aber dies gilt nur für die Stelle, wo er installiert ist – hier im Masttopp des Großmastes. Ob aber alle Segel gut angeströmt werden, kann ich nur feststellen, wenn ich ins Rigg schaue. Woran ich mich aber erst wieder gewöhnen muss, ist die Langsamkeit, mit der wir uns bewegen. Auf dem Containerschiff ist man mit 18-25 Knoten immer eines der schnellsten Schiffe. Manöver gehen schnell und sind relativ problemlos. Anders hier. Selbst mit beiden Maschinen voll voraus schaffen wir maximal 10 Knoten. Meist laufen wir aber nur mit einer Maschine und das sind dann zwischen 5 und 7 Knoten. Das heißt, dass alle Ausweichmanöver rechtzeitig eingeleitet werden müssen und vor allem auf Überholer geachtet werden muss. Dummerweise werden gerade diese vom Radar nicht erfasst, weil das Rigg im Weg ist. Nachts habe ich Unterstützung von einem Matrosen, der Ausguck geht. Tagsüber bin ich, wie auf allen Handelsschiffen, alleine auf der Brücke. Dies ist hier aber nicht ganz so schlimm, weil die Crew direkt vor der Brücke arbeitet und ich jederzeit jemanden nach oben rufen kann, wenn ich es brauche.  

Am nächsten Morgen erreichen wir Mykonos. Als ich auf Wache komme, sind wir bereits am Anker und Joanna zeigt mir, wie ich unsere Rettungsboote zu Wasser lasse. Diese werden nämlich benutzt, um die Passagiere zum Land herüber zu fahren. Während diese eine Inselrundfahrt machen, wird an Bord geputzt, gemalt, Holz geschliffen, Rost entfernt und all das gemacht, was die Ruhe und Erholung der Passagiere beeinträchtigen könnte. Ein Teil der Crew hat frei und nutzt die Chance zum Landgang. Für mich ist die Ankerwache eine entspannte Sache. Ich muss regelmäßig die Position überprüfen, ab und zu nach der Kette sehen und vor allem dafür sorgen, dass der Tenderservice mit den Booten reibungslos abläuft. Da die Crew das schon seit vielen Jahren fast täglich tut, klappt alles super. 

Am Nachmittag wird der Anker gehievt und anschließend setzen wir Segel. Zu meiner Verwunderung habe ich nichts damit zu tun. Lt. Reedereianweisung sind alle Segelmanöver Chefsache, sprich werden vom Kapitän kommandiert. Dieser spricht vorher mit dem Bootsmann ab, was zu tun ist und der Bootsmann teilt dann die Crew entsprechend ein. Jede Wachgruppe ist für einen Mast zuständig unter der Leitung eines Riggers. Dies ist ein Matrose, der sich besonders gut mit Takelarbeiten auskennt und der für die Instandhaltung des stehenden und laufenden Gutes seines Mastes zuständig ist. Auf der Brücke wird der Kapitän vom jeweiligen Wachoffizier unterstützt. Dessen Aufgabe ist es, weiterhin die Navigation zu machen und den umgebenden Verkehr zu beobachten. Dies ist besonders wichtig, weil beim Segel setzen und bergen das Radar abgeschaltet werden muss, um die im Mast rumkletternden Leute nicht zu verstrahlen. Da bei nur 19 Leuten Deckscrew  alle an den Leinen bzw. im Mast gebraucht werden, gibt es auch keinen Rudergänger. Dies erledigt der Autopilot, bzw. im Manöver der Wachoffizier. Da man vom Steuerrad aus die Segel nicht sehen kann, ist das manchmal etwas schwierig. Als die Segel gesetzt sind, suche ich mir ein schönes Plätzchen und genieße erst mal. Das Schiff liegt ganz ruhig und gleitet mit 4 Knoten durch das blaue Wasser der Ägäis. Ich fühle mich, als wäre ich plötzlich gestorben und im Segelschiffshimmel wieder aufgewacht. Kneif mich in den Arm, damit ich weiß, dass ich nicht träume. 

Am Abend der nächste Programmpunkt: Muppet-Show. So wird im Schiffsjargon der Begrüßungscocktail für die Passagiere genannt. Dabei stellt der Kapitän dann auch seine Offiziere und Mitarbeiter vor. Natürlich in Galauniform. Und genau da liegt das Problem. Die richtige Größe Uniform ist für mich nicht vorrätig. Nur eine, die diverse Nummern zu groß ist und deren Ärmel ich mehrere Male umkrempeln müsste. Eine maßgeschneiderte Uniform ist für mich natürlich nicht geliefert worden, weil ja der Einsatz nur zwei Wochen dauern soll. So löse ich Joanna ab, die um diese Uhrzeit immer Wache hat, und sie geht dorthin, während ich so lange auf Brücke bin. 

Der nächste Morgen fängt früh an. Bereits um 7 Uhr sollen wir in Kusadasi / Türkei einlaufen. Das Anlegen ist natürlich „All Hands“ für die Deckscrew und die Offiziere. Meine Position ist die Back, wo ich die Wachgruppe des Fockmastes kommandieren soll. Diese besteht aus Rigger Serry, Zimmermann Lito, Matrose Marvin, Leichtmatrose Jerome, Schiffsjunge Vilmor, sowie der polnischen Kadettin Nataliya. Serry und Lito sind beide schon 16 Jahre auf SEA CLOUD, bzw. SEA CLOUD II und kennen sich gut aus. Sie haben solch ein Manöver schon tausende Male gemacht und wissen genau, was zu tun ist. Sie wissen aber auch genau, wie sie die den Arbeitsaufwand für sich selber so gering wie möglich halten und lassen sich nur ungern etwas sagen. Bei diesem ersten Mal, dass ich dort stehe, lasse ich sie erst mal machen und beobachte. Ich will mich ja nicht gleich unbeliebt machen. Vor dem nächsten Festmachen halten wir dann ein Meeting, wo ich ihnen meine Vorstellung, wie alles abzulaufen hat, erkläre. Anweisungen, wie die Leinen erst per Hand einzuholen und danach erst auf mit dem Ankerspill zu kontrollieren stoßen nur auf wenig Gegenliebe und auch die Ansage, dass keine weiteren Leinen an Land zu geben sind, bevor wir mit jeweils einer Vorleine und einer Spring in Position, fest und belegt sind, werden mit einem „das wollte aber bisher keiner“ quittiert. Ich werde mir die Achtung dieser Leute offensichtlich erst erkämpfen müssen, denn die Crew hat mit den Jahren viele Offiziere kommen und gehen gesehen…

Die nächsten Tage sind gekennzeichnet durch entspanntes Segeln zwischen den unzähligen Inseln. Jeden Tag werden für ein paar Stunden Segel gesetzt, jedoch meistens nachmittags während der Wache des 2. Offiziers. Wenn ich auf Wache bin, finden all die Dinge statt, an denen ich auch gerne teil hätte, wie Landgang, Schwimmen von der Gangway, Fotosafari vom Schlauchboot, Barbeque an Deck, aber ich bin auf der Brücke festgenagelt. Nur einmal segeln wir vormittags. Nun endlich kann ich selber fühlen, wie das Schiff im Wind liegt, wie hoch ich an den Wind gehen kann, wie es reagiert. 

22.7., Istanbul. Ich bin schon eine Woche hier. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Heute ist Gästewechsel. Viel Arbeit für die Hotelcrew, die alle Kabinen fertig machen müssen, Verpflegung geliefert bekommen, und dann noch die neuen Gäste begrüßen und ihnen alles zeigen müssen. Für die seemännische Crew ist es einfacher. Die Deckscrew muss rein Schiff machen und das Messing polieren, aber die Offiziere können außerhalb ihrer Wachzeiten an Land. Ich nutze dies zu einem Besuch der Hagia Sofia und einem Bummel durch die Altstadt. Die Stadt ist groß und schmutzig und laut. Ich bin froh, als ich wieder an Bord bin. 

Weiter führt uns der Weg zurück nach Griechenland. Nachts geht es durch die Dardanellen. Hier müssen wir auf Grund der Schiffsgröße einen Lotsen nehmen. Morgens, als ich auf Wache komme, sind wir bereits wieder im offenen Meer. Um 9 Uhr sollen die Segel gesetzt werden. Diesmal soll ich auf dem Lidodeck dazu den Gästen etwas erzählen. Normalerweise tut dies der 1. Offizier. Diesmal haben wir aber ausschließlich deutsche Gäste und so hat Kpt. Burgman mich gebeten, dies zu übernehmen. Die SEA CLOUD ist eine Viermastbark. Damit wird ein Schiff bezeichnet, dass an den 3 vorderen Masten Rahsegel, am hintersten Mast jedoch ein Gaffelsegel und meist auch noch ein Gaffeltoppsegel führt. Ursprünglich war die SEA CLOUD als 3-mastiges Schiff geplant. Die erste Eignerin des Schiffes aber setzte ihren Willen durch und bestimmte, dass es vier Masten erhalten sollte. 1931 als das Schiff gebaut wurde, galt dieses Rigg als das non-plus-ultra der Segelschiffsentwicklung und die stets auf das Beste, Teuerste und Schönste bedachte Marjorie Merriweather-Post wollte das natürlich haben. Die Masten sind eine Mischkonstruktion aus Stahlmast und Holzstenge. Auch die oberen Rahen sind aus Holz. So wurde Gewicht eingespart, was die Stabilität verbessert. Die Rahen sind absenkbar, wie es auf den frachttragenden Segelschiffen dieser Zeit üblich war. Die Segel der SEA CLOUD sind aus Duradon, einem der Baumwolle ähnlichen Kunststoff, der zwar teurer, als das im Yachtbereich übliche Dacron ist, aber besser aussieht. Alle Leinen sind aus Kunststoff. Das Segel setzten ist Handarbeit und wird auf dieselbe Art ausgeführt, wie vor hunderten von Jahren. Die Crew klettert in die Masten und löst die Segel. Danach werden sie von Deck aus gesetzt. Einziges Hilfsmittel sind elektrisch betriebene Winschen zwischen den Masten. Für Jarviswinschen wäre kein Platz und um die Schoten und Fallen nur von Hand zu bedienen, brauchte man eine um ein vielfaches größere Crew. Alleine das Focksegel hat die Größe eines Tennisplatzes und die beweglichen Rahen wiegen jeweils so viel wie ein Kleinwagen. Die Gäste sind beeindruckt von der im Rigg herumturnenden Crew. Als alle Segel stehen, gehe ich wieder zu Brücke zurück und genieße meine Wache unter Segeln. 

Thema dieser Kreuzfahrt sind die griechischen Klöster. So passieren wir die Halbinsel Athos in nur 1 Meile Abstand und meine Aufgabe dabei ist es, so dicht, wie gerade noch erlaubt und sicher an der felsigen Küste entlang zu navigieren. Derweil hält ein einheimischer Fremdenführer auf dem Lidodeck Erklärungen für die Gäste. Bei Sonnenuntergang nehmen wir dann Kurs auf die Inseln Skiathos, Paros und Tinos. Das Wetter meint es zu gut mit uns. Der Wind ist schon fast zu viel und das Schiff macht gut Fahrt. Leider sind die Reeden der genannten Inseln teilweise sehr ungeschützt und wir müssen manchmal kurzfristig umplanen, weil wir den vorgesehenen Ankerplatz nicht sicher anlaufen können. Die Gäste sehen’s sportlich, denn unsere Kreuzfahrtdirektorin schafft es immer wieder, ein interessantes Alternativprogramm zu organisieren. 

29.7. wieder in Piräus. Serhiy steigt aus. Ich bleibe auf unbestimmte Zeit an Bord. Nun bin ich auf mich allein gestellt mit meinem Ressort Schiffssicherheit. Grundsätzlich habe ich dies ja auch auf den Containerschiffen gemacht und kenne mich auch gut damit und mit dem entsprechenden Papierkrieg aus. Aber auf so einem alten Schiff ist das noch mal was anderes. Die Schottenschließanlage ist noch original von 1931 und die Gebrauchsanleitung fällt fast auseinander. Alles soll möglichst im Originalzustand erhalten bleiben, aber dennoch den neuesten Vorschriften entsprechen. Die muss ich auch erst mal erforschen, denn dies ist mein erster Einsatz auf einem Passagierschiff und auch mein erster Kontakt mit den speziellen maltesischen Vorschriften. So bleibt die Arbeit spannend. Annähernd jeden Nachmittag verbringe ich in den Rettungsbooten. Wenn wir unter Segeln sind, nutze ich die Chance, ohne Lärm und Hitze durch den Maschinenraum klettern und dort meine Feuerlöscher, Schläuche, Hydranten und was da sonst noch so an Sicherheitsausrüstung ist, zu testen und zu warten. Mir assistiert dabei eine Deckshand, aber da muss ich immer hinterher kontrollieren, was getan ist und manchmal ist es einfacher, es gleich selbst zu tun. 

Wir fahren gen Westen. Im ganzen August werden wir in der Adria bleiben und dort einwöchige Törns ab Venedig durchführen. Das Fahrgebiet ist anspruchsvoll, denn wir werden zwischen den kroatischen Inseln fahren. Dort gibt es unzählige Felsen und Untiefen, viele kleine Segelyachten, Fischerboote und Fähren, denen wir allen ausweichen müssen und ständig wechselnde Windverhältnisse. Wir laufen die Orte Dubrovnik, Split, Hvar, Korcula, Krk, Trogir und Sibenik an. Besonderes Highlight wird ein Besuch in der Sommerresidenz unseres Reeders, der ein Haus in Tribunj hat. Wir ankern praktisch vor der Tür und die Crew ist bei ihm im Garten zum Grillen eingeladen. Ein wunderschönes Haus und eine freundliche, sympathische Familie erwarten uns. 

Ende August geht es dann nach Malta. Dort werden Kapitän und 1. Offizier abgelöst. Die Crew deutet an, dass nun die schöne Zeit vorbei sei, denn die Kpt. Vladimir Pushkarev und 1. Offizier Sergey Komakin gelten als sehr streng. Leider bewahrheitet sich dies und sowohl die Deckscrew, als auch der rumänische 2. Offizier Vasile und ich haben wenig zu lachen. Insbesondere mit dem neuen 1. Offizier gerate ich irgendwie immer wieder aneinander. Wir haben einfach total unterschiedliche Auffassungen von Führung. Er glaubt, nur mit Strenge und permanentem Treten könne man etwas erreichen. Freundlichkeit, so erklärt er mir, lege die Crew nur als Schwäche aus. Da er mein direkter Vorgesetzter ist, bleibt mir nichts weiter, als mich mit seinem Stil zu arrangieren. Während sich das ganze Schiff untereinander mit Vornamen anreden, bleiben wir beide bis zum Ende per Sie. Auch unser Kapitän qualifiziert sich nicht gerade für den Charme-Award. Zu den Gästen immer freundlich, humorvoll und alles, was möglich ist, möglich machend, ist es auf der Brücke oft knurrig, schlecht gelaunt und voller Kritik. Immerhin verteilt er seine „Zuneigung“ gleichmäßig, denn jeder bekommt sein Fett ab. Er ist mit 41 Jahren ein junger Kapitän und es ist seine erste Reise als Kapitän. So ist er stets bemüht, alles perfekt zu machen und das Schiff in perfektem Zustand zu halten. 

Die Reise geht nun weiter nach Italien, Sardinien, Korsika und an die Côte d’Azur. Wir ankern vor Capri, umrunden den noch aktiven Vulkan Stromboli, der uns mehrere Eruptionen vorführt, und genießen italienisches Dolce Vita. Die Hafenmanöver sind teilweise haarsträubend, wie z.B. in Bonifacio, wo die Pier erheblich kürzer ist als das Schiff und wir im engen Hafenbecken ohne jede Hilfe wenden müssen. Ich beneide den Kapitän nicht. Oft kommt er am Abend vor dem Einlaufen während meiner Wache auf die Brücke, und schaut sich Hafenpläne und Beschreibungen an, wertet Wetterberichte aus und überlegt, wie er das Manöver am nächsten Morgen durchführen wird. Manchmal erklärt er es mir sogar, was für uns beide den Vorteil hat, dass ich vorne auf der Back weiß, was er vorhat und entsprechend agieren kann. Wir gewöhnen uns langsam aneinander und ich komme zunehmend besser mit ihm aus. Immerhin lässt er mich Segeln. Das aber auch nur, nachdem er meine Kenntnisse abgeprüft hat. Nun setzt er vorzugsweise in meiner Wache die Segel, gibt dann eine knappe Anweisung, wie „Full & By“, und geht. Kommt nur gelegentlich mal vorbei, nach dem rechten sehen. 

Von Nizza aus geht es nun wieder zurück in die Adria. Auch im Herbst sollen wir noch einmal 3 Rundreisen ab Venedig durchführen. Dort ist es mittlerweile kalt geworden und zuweilen auch stürmisch. Als wir wieder in Korcula sind, drückt uns der Wind so auf die Pier, dass wir abends nicht dort wegkommen, sondern erst auf das Abflauen des Windes am nächsten Morgen warten müssen. Leider nicht ohne zuvor alles versucht zu haben. Bilanz des Versuches: 2 gerissene Segel und eine verletzte Deckhand. Kadettin Katarzyna ist beim nächtlichen Manöver auf der Back über eine Leine gestolpert und hat sich das Knie verdreht. Unsere Bordärztin schickt sie im nächsten Hafen zum Röntgen und danach steht fest, dass Katarzyna nach Hause fliegen muss. Für unseren Kapitän steht fest: ich bin schuld. Schließlich leite ich die Crew auf der Back während der Manöver und daher hätte ich die Sache verhindern müssen. Und die gerissenen Segel sind auch meine Schuld und überhaupt alles. 

Insgesamt scheinen wir derzeit eine Pechsträhne zu haben. Das Wetter wird immer mieser und wir erleben eine Reihe richtiger Stürme, können Häfen nicht anlaufen, müssen alles umplanen. Die Gäste sind fast alle permanent seekrank und ein Großteil der Crew ebenfalls. Der Hotelcrew sei es verziehen, die seekranke seemännische Crew jedoch muss den Spott der seefesten Kollegen ertragen. Arbeiten müssen alle. Seekrankheit ist kein Grund auf Koje zu bleiben. Wieder in Malta bekommen wir eine Flagstaatenkontrolle. Sie sind supergenau und wollen das ganze Schiff sehen. Leider finden sie eine Reihe von kleinen Mängeln, die wir bis zum nächsten Anlaufen von Malta, 7 Tage später, abstellen müssen. So gibt es noch mehr zu tun – und das Wetter wird noch schlechter! Einmal laufen wir vor Topp und Takel vor dem Sturm ab und loggen dabei 4,5 Knoten Fahrt. Einmal sehen wir sogar eine Windhose in unmittelbarer Nähe des Schiffes. Sofort werden die Segel gekürzt und alle suchen den Horizont ab, um weitere solche Gefahren schnell entdecken und entsprechend handeln zu können. Richtig böse wird das Wetter dann als wir schon wieder auf dem Weg nach Malta sind. Beim Wachantritt morgens um 8:00 Uhr sind wir gerade beim Einlaufen in die Straße von Messina. Irgendwie befahren wir dieses schwierige Fahrwasser immer in meiner Wache. Das ist unter normalen Umständen schon stressig genug, weil permanent Fähren kreuzen. Da wir auf Grund der Schiffsgröße keinen Lotsen nehmen müssen, fährt hier der Kapitän, assistiert vom Wachoffizier. Mit unserem Kapitän ein permanentes Spießrutenlaufen, denn man kann es ihm kaum recht machen. Heute ist er zusätzlich gestresst durch Dauerregen, Sturm und Sichtweiten von weniger als 1000 m. Wir sollen heute in Taormina direkt unterhalb des Ätna ankern. Nur bei der Windrichtung und –stärke erwartet er dabei größte Schwierigkeiten. So werden mit der Kreuzfahrtdirektorin Alternativen besprochen. Als wir die engste Stelle passiert haben und er die Wache gerade an mich abgegeben hat – also auf der Brücke wieder Ruhe eintreten könnte – fliegt die Brückentür auf und das Kommando „Wende über Backbord – wir gehen nach Messina an die Pier!“ ertönt. Da Capo! Wieder durch die Straße von Messina, diesmal nordwärts. Aber dabei bleibt es auch nicht, denn kurze Zeit darauf werden wir vom Agenten in Messina informiert, dass der Liegeplatz erst abends frei wird. Also doch Taormina. Wende über Steuerbord und wieder durch die Straße von Messina, diesmal südwärts… Natürlich klappt das Ankern in Taormina nicht und nach 2 vergeblichen Versuchen ist klar, wir lassen es sein. Die Telefone laufen heiß bis schließlich für uns ein Liegeplatz in Syracusa gefunden wird.

Weiter geht die Reise über Sizilien nach Sardinien und Mallorca, dann weiter zum spanischen Festland. Auf diesem Törn sind uns einige sehr schöne Segeltage vergönnt. Die Stimmung aller hellt sich auf, zumal in Palermo der 1. Offizier Sergey wieder von Joanna abgelöst wird. Zwischen Valencia und Motril dann mal wieder Sturm direkt gegenan. Wir kommen 4 Stunden später als geplant an und beim Anlegemanöver brechen 2 Leinen. Erstaunlicherweise bin diesmal nicht ich Schuld, sondern unseres Kapitäns Zorn richtet sich gegen die Maschinencrew, die ihm nicht genug Geschwindigkeit gegeben haben. Ich traue dem Frieden nicht und verziehe mich in die Rettungsboote zu Wartungsarbeiten. Weiter geht die Fahrt nach Cadiz und Casablanca. Auf dem letzten Teilstück segeln wir das erste Mal die Nacht durch. Der Wind kommt so ideal, dass unser Kapitän es für ausreichend sicher hält. Natürlich schreibt er seitenlange stehende Order und ist die ganze Nacht über stand-by, schaut immer wieder auf der Brücke nach dem rechten. Die Gäste sind begeistert. Nachdem ich meine Wache an Vasile übergeben habe, setze ich mich noch auf das Achterdeck und genieße in einem Deckchair liegend unter Sternenhimmel und geblähten Segeln, bis mich gegen 2 Uhr morgens Kälte und Luftfeuchtigkeit in die die Kammer treiben. 

Casablanca, ein klingender Name, der mit der Realität nicht standhält. Hier trifft Afrika auf Orient und beide zeigen sich nicht unbedingt von ihren besten Seiten. Es ist laut, teuer, schmutzig und auf den Straßen laufen Ratten von der Größe einer Katze. Bettelnde Kinder zupfen an der Kleidung und wollen Bakschisch, Händler versuchen ihre gefälschten Markenartikel an den Mann zu bringen. Beim Auslaufen dann ein unkonventionelles Manöver, da wir den Anker nicht so gehievt bekommen, wie wir wollen und uns daher im Hafenbecken einmal um die eigene Achse drehen. 

Auf dem Weg nach Lanzarote sind 2 volle Seetage eingeplant. Da die Windrichtung günstig ist, werden wir diese Strecke komplett unter Segeln fahren. Nur spielt uns die Windstärke mal wieder Streiche. Als wir am Morgen in meiner Wache Segel setzen, ist erst mal fast gar kein Wind und ich kämpfe darum, wenigstens genug Fahrt zu haben, um steuerfähig zu bleiben. Da der Autopilot erst ab ca. 2 Knoten zuverlässig steuert, steuere ich die ganze Wache über selbst von Hand. Zum Glück ist nicht viel Verkehr, so dass ich problemlos gleichzeitig steuern und Ausguck halten, sowie meine Position in der Karte einzeichnen und die Segel überwachen kann. Dennoch bin ich froh, als ich um 12 Uhr an Vasile übergeben kann. Der hat dann Spaß, denn kaum hat unser Kapitän entschieden, dass man ja das ruhige Wetter zu einer Fotosafari für die Gäste nutzen könne, briest es auf und die Schlauchboote können kaum mit dem Schiff Schritt halten. 

Als ich um 20 Uhr die Wache übernehme, teilt mir Joanna mit, ich solle den Kapitän rufen, wenn es mehr als 25 Knoten relativen Windes hätte. Vor dem Wind segelnd ist zum relativen Wind immer noch der Fahrtwind zu addieren, um den wahren Wind zu erhalten. Bei 7 Knoten, die wir zur Zeit laufen wäre das dann eine Windstärke 8. Die Segel sind stark reduziert. Für die Nacht stehen nur die 3 Untermarssegel, sowie Fock-, Groß- und Kreuzsegel. Bereits um 21 Uhr erreichen wir den magischen Grenzwert. Kapitän Pushkarev sieht sich die Lage an und beschließt, dass alles unter Kontrolle sei und ich ihn wieder rufen solle, wenn wir 35 Knoten relativen Windes hätten. Dies erreichen wir bereits eine halbe Stunde später. Nun wird die Lage langsam ernst. Es ist bereits so viel Wind, dass man mit gutem Gewissen niemanden mehr nach oben schicken möchte, um die Segel zu packen. Auch ist es fraglich, ob wir sie ohne Schaden bergen könnten, denn sie stehen prall gespannt. Ein weiteres Anluven, um den Wind aus den Segeln zu nehmen verbietet sich ebenfalls, denn bei ca. 7 m hoher Dünung und noch 3 m hohen Windwellen ist ein Querschlagen des Schiffes unbedingt zu vermeiden. Die Maschine ist auch keine Hilfe, denn wir laufen nun unter den wenigen gesetzten Segeln bereits schneller, als wir mit Maschine sind. So bleibt unser Kapitän von nun an mit mir auf der Brücke. Während er drinnen steht und Radar und Autopilot bewacht, stehe ich draußen und leuchte mit einer starken Lampe immer wieder das Rigg ab, um zu sehen, wie die Segel stehen und ob sich irgendwelche Schäden entwickeln. Unser Wachmatrose geht permanent Runden über das Schiff, ob alles in Ordnung und gesichert ist. Und um eventuell an Deck herumlaufende Passagiere nach unten zu schicken. Im Falle eines Mann-über-Bord hätten wir nicht die geringste Chance, ihn zu bergen. An Deck sind Strecktaue gespannt und nur Crew mit Sicherungsleine darf dort hin. Alles ist doppelt und dreifach gelascht. Mehr können wir im Moment nicht tun. Als ich die Wache übergebe laufen wir 12 Knoten bei einem relativen Wind von 48 Knoten. Am nächsten Morgen sind es dann „nur“ noch etwa 34 Knoten. Die Gäste, unter denen sich diesmal viele Segler befinden, sind begeistert. Wir fliegen nur so dahin. Unser Kapitän ist weniger begeistert. Wissend um die immer noch große Gefahr weist er mich an, den Autopilot nicht aus den Augen zu lassen, denn im Falle eines Querschlagens wären große Schäden am Schiff bis hin zum Kentern zu erwarten. Dann geht er erschöpft in seine Kammer, ein wenig Schlafen. Er hatte seit ich ihn am vorigen Abend gerufen hatte, ununterbrochen auf der Brücke gestanden. 

Wir nähern uns den kanarischen Inseln, meinem letzten Etappenziel. Die 4 Monate an Bord sind wie im Fluge vergangen. Ich freue mich zwar auf zu Hause, bin aber auch traurig, das Schiff zu verlassen. Ich habe mich an das Leben an Bord gewöhnt und mag die Leute, mit denen ich zusammen arbeite. Wir laufen jede der größeren Inseln einmal an. Da ich hier schon mehrmals war, ist es für mich nichts Neues. Wenn ich an Land gehe, dann um zu schwimmen oder um ins Internetcafe zu gehen. Auf Morgenwache zwischen Teneriffa und La Palma ist dann mein letztes Mal segeln. Kapitän Pushkarev setzt alle Rahsegel, brasst vierkant und übergibt mir die Schiffsführung mit der Anweisung: „Du hast bis 11 Uhr Zeit – fahr wohin du willst. It’s all yours!“ So genieße ich ein letztes Mal dieses wunderbare Schiff unter Segeln. Ich stehe auf der Nock und steuere nach Wind und Segeln. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Schöner kann’s nicht werden. Dann mittags Einlaufen in Santa Cruz de La Palma. Die nächsten 2 Wachen fahre ich unter Maschine und dann sind wir in Las Palmas / Gran Canaria, wo wir für ein paar Tage in die Werft gehen. Nichts besonderes, nur die jährliche Durchsicht, ein bisschen neue Farbe und ein paar Kleinigkeiten. Kaum sind wir hoch und trocken aufgedockt, kommt auch schon mein Ablöser an Bord. Patrick aus den USA soll ein paar Tage mit mir zusammenarbeiten und dann als 3. Offizier übernehmen, während ich in Urlaub gehe. 

Schließlich sind auch diese Tage vorbei und ich stehe mit meinem Gepäck unter dem Schiff im Dock. Ich habe mich von allen verabschiedet und schaue wehmütig ein letztes Mal nach oben. Kapitän Pushkarev stupst mich von hinten an. „Pass auf dich auf!“ grinst er mich an. „Kannst jederzeit wiederkommen!

SEA CLOUD reloaded…12.03. bis 31.07.2010

 

Mitte März geht es mal wieder los. Diesmal geht der Flug nach Barbados, wo ich ein weiteres Mal auf der „SEA CLOUD“ als 3. Offizier einsteigen soll. Ich freue mich, dem endlosen europäischen Winter dieses Jahres zu entkommen und in die Karibik zu fliegen. Und ich freue mich, wieder auf der „SEA CLOUD“ zu sein.  4 Monate sind diesmal geplant. Die Reise soll von der Karibik ins Mittelmeer und schließlich ins Schwarze Meer gehen. Kaum an Bord sehe ich bekannte Gesichter. Viele der Vorjahrescrew sind wieder – oder immer noch – dabei. Kapitän ist wieder einmal Vladimir Pushkarev und Chief Mate ist immer noch Joanna. Für mich ist es wie nach Hause kommen, dabei komme ich ja von zu Hause. Ich beziehe meine Kammer und Patrick, der in der Zwischenzeit hier 3. Offizier gewesen war, übergibt an mich, packt seine Sachen und wird auch schon kurz danach abgeholt.

Ich mache einen Rundgang über das Schiff. Nur Kleinigkeiten haben sich verändert. Ich kann genau da weitermachen, wo ich aufgehört hatte. Und genau das wird auch von mir erwartet. Seeklar machen, Ablegen und Segel setzen fallen in meine erste Wache und es klappt sogar einigermaßen problemlos. Für die letzte Stunde meiner Wache genieße ich das Segeln bei Nacht. Es ist für mich immer noch ein Traum, hier zu arbeiten. Nach der Wache noch ein Glas Wein mit dem Chief Engineer Erik. Danach falle ich todmüde in meine Koje. Der erste Tag ist geschafft.

Am zweiten Tag gleich das volle Programm. Morgens Schotten testen mit Deckhand Maciej, dann Life Boat Drill für die Passagiere. Um 11:00 dann Brückenbesichtigung für die Passagiere. Nachmittags Mann-über-Bord-Drill unter Segeln. Alles klappt gut. Unser Kapitän ist zufrieden. Am nächsten Tag liegen wir in einer wunderschönen Bucht vor Anker. Ich schaffe es nach der Wache an Land und gehe Schnorcheln. Es ist vielleicht nicht der aufregendste Strand dafür, aber ich freue mich über die vielen bunten Fische und sehe sogar eine große Schildkröte. Als ich abends in den Spiegel schaue, trifft mich fast der Schlag. Ich bin überall knallrot wie ein Hummer. Anders als auf einem Containerschiff, wo man die meiste Zeit in der klimatisierten Brücke Wache geht, kann man auf einem Segelschiff der Tropensonne nicht entkommen. Und das, was an Bord noch von der Uniform verdeckt wird, habe ich dann beim Schnorcheln verbrannt. Doof! 

17.3.10 – wir ankern vor Terre-de-Haut, einer zu Guadeloupe gehörenden Insel. Schön ist es hier, aber das Städtchen hat man in einer Stunde ausreichend erkundet. Die Hauptattraktion hier in der Karibik ist eindeutig der Wassersport und nicht Sightseeing. Das Segeln ist gemütlich. Der Wind ist zuverlässig und immer genau richtig, damit wir gute, aber nicht zu wilde Fahrt machen. Es wird deutlich mehr gesegelt als ich das vom letzten Einsatz her kenne. Ich habe mich inzwischen an die Durchsicht der gesamten Sicherheitsausrüstung gemacht. 

22.03.10 – wieder einmal ein Geburtstag an Bord. Diesmal in St. John’s auf Antigua. Es gibt gewiss schlechtere Plätze, wo man seinen Geburtstag verbringen kann. Morgens einlaufen, dann Wache, die trotz einer Kontrolle durch die einheimischen Behörden ruhig verläuft. Dann an Land. Im Internetcafe gelingt es mir, über Skype mit meinen Söhnen Jens und Paul zu telefonieren. Danach bummele ich durch die Ladenzeile am Hafen und finde schließlich eine nette Bar unter Palmen mit herrlichen Cocktails. Die Party muss abends ohne mich stattfinden, denn wie immer habe ich von 20.00 bis 24.00 Uhr Wache und muss so lange das Schiff fahren. Mich stört’s nicht. Die Jungs in der Crewmesse schaffen das Bier auch alleine und ich bin schließlich kein Freund von großen Besäufnissen an Bord.

Es folgt eine Reihe von guten Tagen, an denen wir von einer Trauminsel zur anderen segeln. Am besten gefällt es mir in St. Barth’s. Viel zu schnell sind wir wieder in Barbados. Dort steigen alle Passagiere und ein Teil der Hotelcrew aus. Wir anderen machen das Schiff klar zur Überführung nach Europa. Zwei Wochen sind für die 3100 Seemeilen eingeplant. Das bedeutet, dass wir die ganze Zeit mit Maschinenkraft laufen müssen. Die Deckscrew feixt: das wird die reinste Vergnügungsreise – keine Segel, nicht auf den Mast. Da haben sie allerdings die Rechnung ohne Vladimir gemacht. Der nutzt nämlich die günstigen Winde und setzt zusätzlich zur Maschine Segel. Erst einige Stagsegel und als er sieht, dass das gut klappt und auch noch etwas mehr Geschwindigkeit bringt, schließlich auch die Rahsegel. Am Ende segeln wir fast 60% der Zeit – auch nachts. Da die Crew nicht durch An-/Ablegen, Tenderservice, Fotosafari oder ähnliche Passagierbedingte Aktivitäten belastet ist, können ihnen auch mal nächtliche Segelmanöver zugemutet werden. Natürlich nur, solange es sicher ist. Das Wetter ist auf der gesamten Überführung gut. Wir segeln am Rand eines uns getreulich begleitenden Tiefdruckgebietes, das uns mit verlässlichen Winden versorgt. Die Temperatur sinkt jeden Tag um 1 Grad. Unsere philippinischen Crewmitglieder fangen an zu frieren und tragen mehrere Pullover übereinander. Wir Nordeuropäer hingegen leben auf und genießen die frische Brise. Unsere russischen Crewmitglieder arbeiten weiterhin in kurzen Hosen und T-Shirt. Alle sind fleißig und viele Wartungsarbeiten können durchgeführt werden. Kurz vor erreichen von Lissabon wird denn alles wieder geputzt und eingeräumt. Das Schiff wird wieder für die Passagiere hergerichtet. Ich spiele jetzt jeden Nachmittag ein wenig auf dem Steinway Klavier in der Lounge. Wenn Gäste da sind, traue ich mich ja nicht. Während der Überführung habe ich die Lounge für mich allein. Unerwartete Schwierigkeiten macht hierbei aber der Seegang. Während ich es im Schiffsalltag kaum noch bemerke, wenn das Schiff rollt und stampft, macht es beim Klavier spielen doch Probleme. Die Noten fallen vom Pult und da der Körper ständig Ausgleichsbewegungen macht, das Klavier jedoch nicht, treffen die Finger oft eine andere Taste, als eigentlich gewollt. 

14.04.10, Lissabon. Wir sind einen Tag eher als geplant in Portugal angekommen. Das Segel setzen hat der Crew einen freien Abend in Lissabon gebracht. Wer nicht gerade Wache hat – wie ich mal wieder – der geht an Land und genießt die schöne Stadt und das Nachtleben. Am nächsten Tag dann wieder der normale Wahnsinn. Proviant kommt, und Lieferungen und Service für meine Feuerlöschanlage und Wasser und Treibstoff wird gebunkert. Letzteres stellt den Chief Engineer vor unerwartete Probleme. Wir haben deutlich weniger verbraucht, als eingeplant. Durch das Segeln und die Zeitersparnis. So kann er mit Mühe die vorbestellte Menge Dieselöl in den Tanks unterbringen. Schließlich kommen die Gäste an Bord. Alles Amerikaner diesmal. Und dazu einige neue alte Crewmitglieder. Ich freue mich über das Wiedersehen mit Barmann Bebot und Cruise Director Tom. Eine besondere Überraschung dann am Nachmittag. Hinter uns liegt ein anderes Kreuzfahrtschiff. Dort arbeitet jetzt Gemma, mit der ich vor 5 Jahren auf der „KASKELOT“ eine Kammer teilte. Sie kommt mich nach ihrer Wache besuchen. Stolz zeige ich ihr unser Schiff. Dann unterhalten wir uns über alte Zeiten. Damals waren wir beide von Bord gegangen um Nautik zu studieren. Nun sind wir beide fertig und arbeiten als nautische Offiziere. Auf der „KASKELOT“ hatten sie uns deswegen für Spinner gehalten. Heute zurückblickend würden wir beide dort nicht mehr fahren. Zu unprofessionell, zu wenig Sicherheitsbewusstsein, zu wenig Geld.

20.04.10, kurz hinter Valencia. Wir sind wieder im Mittelmeer. Das Bordleben geht seinen Gang. Mir geht es gut. Mit Kapitän Vladimir und Chief Mate Sergey, der inzwischen wieder Joanna abgelöst hat, komme ich diesmal sehr gut aus. Es ist eine richtig gute Zusammenarbeit und es wird auch viel gelacht. Ich verstehe Sergeys Standpunkt gegenüber der Crew jetzt besser, denn einige von ihnen legen es tatsächlich darauf an, die Offiziere zu überlisten oder auszutricksen. Da helfen dann nur klare Ansagen. Andere – insbesondere Hotelcrew oder auch europäische Deckhands – kommen mit völlig falschen Vorstellungen an Bord. Sie denken, das alles sei eine Art Vergnügungsfahrt oder Abenteuer, und es ist schwer, ihnen Sicherheitsbewusstsein beizubingen. Es ist auch häufig nicht das Interesse vorhanden, sich mit dem Schiff wirklich auseinander zu setzen. Vladimir möchte, dass ich Verantwortung übernehme und wenn ich es tue, dann lässt er mich auch machen. Er will dann nur die Ergebnisse mitgeteilt bekommen. Eine harte Nuss hingegen ist Bootsmann Mamikon. Dieser tut sich schwer damit, die Autorität von Offizieren – und insbesondere weiblichen Offizieren – anzuerkennen. Er ist gut, keine Frage. Aber er weiß es auch. Und er fühlt sich als Superstar. Da er lange Zeit auf der „KRUZENSHTERN“ als Chief Bosun gefahren ist und dort „der berühmte Mamikon“ war, kann er sich nun nur schwer unterordnen. Andererseits hat er sicher auch schon eine Menge unfähiger Nautiker erlebt und ist einfach genervt, sich von irgendwelchen schnell besohlten Leuten etwas sagen zu lassen. Vladimir erzählt mir, dass es ihm als frischgebackenen Nautiker auf der „KRUZENSHTERN“ mit Mamikon ähnlich ergangen ist. Ich fühle mich gleich viel besser. 

05.05.2010, Ajaccio / Korsika. Eine weitere Reihe von guten Tagen liegt hinter uns. Wir sind an der Côte D’Azur und rund um Korsika unterwegs. Das Wetter ist wechselhaft. Immer noch kühl und leider auch oft Regen. Aber meist guter Wind zum Segeln. Und da unser Kapitän gerne segelt, tun wir das auch so oft es geht. Mit Landgang habe ich in der letzten Zeit etwas mehr Glück, da wir viele Häfen nachmittags anlaufen. So ist oft Gelegenheit zu einem Bummel durch die schicken, aber sündhaft teuren Orte hier. Als zweiten Offizier haben wir nun Christian, einen Deutschen. Auch Mamikon ist inzwischen abgelöst worden. So nach und nach gehen alle in Urlaub. Nächste Woche ist Kapitänswechsel. Eigentlich schade, wo wir doch nun so gut miteinander klar kommen. Bei mir ist schon fast wieder Halbzeit. Unglaublich, wie schnell diesmal die Zeit rennt. 

17.05.2010, südlich von Italien. Wir sind auf dem Weg in die Adria. Mit dem Kapitänswechsel hat sich der Rhythmus an Bord verändert. Alles ist ein wenig entspannter und gelassener. Chief Mate Sergey weiß, dass er auf verlorenem Posten kämpft und da er nächste Woche wieder von Joanna abgelöst wird, hält er sich zurück. Unser 2. Offizier Christian ist sehr ruhig und läuft immer mit mürrischer Miene herum. Wie so viele, die hier anfangen, wird auch er nur ein kurzes Intermezzo geben. Der nächste Job wartet schon auf ihn und dies hier ist nur ein Lückenfüller. Seine Begeisterung für das Schiff ist gering und das merkt man ihm an. Ganz anders ist da Terry, unser englischer Chief Engineer. Eigentlich schon länger im Ruhestand, macht er doch hin und wieder eine Urlaubsvertretung auf diesem Schiff, wo er so viele Jahre gefahren ist. Da er auch das Leben auf den Containerschiffen von Hansa gut kennt, sitzen wir oft zusammen und klönen über Leute und Schiffe, die wir beide kennen. 

Auch mit Kapitän Todd segeln wir wann immer es möglich ist, was praktische jeden Tag bedeutet. An einem Morgen in der Ägäis gibt es eine Überraschung für mich, denn als ich auf Wache komme, ist die „MIR“ in Sicht. Leider zu weit weg, um Leute an Deck zu erkennen, aber nah genug, um über Funk mit ihnen zu sprechen. Zu meiner großen Überraschung ist der alte Stammkapitän des Schiffes, Viktor Antonov, an Bord. Obwohl seit vielen Jahren im Ruhestand – er ist mittlerweile 73 Jahre alt -  übernimmt er von Zeit zu Zeit immer wieder die Schiffsführung dort. Wie alle großen Segelschiffe, hat auch die „MIR“ Nachwuchsprobleme. Segelschiffskapitäne wachsen nicht auf Bäumen…. Etwas später setzen wir Segel und fahren der „MIR“ hinterher. Einholen können wir sie nicht. Auf demselben Kurs mit demselben Wind läuft sie 3,3 Knoten, und wir nur 2,5 – und das obwohl sie noch nicht einmal alle Segel gesetzt hat. Mir ist etwas wehmütig zu mute, als ich das Schiff, auf dem ich so viel gefahren bin, davon fahren sehe. Dort habe ich das gelernt, was ich nun hier jeden Tag anwende.

22.06.2010, Istanbul. Ein weiterer Monat ist rum. Wir kommen gerade aus dem Schwarzen Meer. Christian ist von Steve, einem Amerikaner und alten Freund von Kapitän Todd abgelöst worden. Steve ist sehr lustig und hat eine sehr entspannte Haltung zu seinem Job hier an Bord. Auch er ist nur für einen kurzen Zeitraum hier, denn hauptberuflich arbeitet er als Lehrer an einer Seefahrtschule in den USA. Mit ihm breitet sich Urlaubsstimmung aus. Steve genießt die Vorteile des Lebens auf einem Kreuzfahrtschiff in vollen Zügen und animiert mich, dies ebenfalls zu tun. So nehme ich an Landausflügen teil, esse ab und zu mit den Passagieren und gehe nach der Wache noch an die Lido Bar. Joanna ist wenig begeistert von Steve. Sie fände ein wenig mehr Professionalität in seiner Arbeit als 2. Offizier wünschenswert, meint er sei ja schließlich nicht als Pausenclown eingestellt. Interessanterweise sind im Moment fast alle Russen und Ukrainer im Urlaub, so dass wir mit amerikanisch-deutscher Crew in der Ukraine waren. Chief-Mate Sergey ist inzwischen von Joanna abgelöst und auf die „SEA CLOUD II“ versetzt worden. Ihn schicken sie zum Ausgleich nach Warnemünde!

Die Tage plätschern vor sich hin. Mein Sicherheits-Equipment ist alles in guter Ordnung und es stehen nur die routinemäßigen Checks an. Durch unsere wöchentlichen Drills ist die Crew gut trainiert und alles klappt wie es soll. Die Passagiere sind glücklich und zufrieden. Mein Einsatz nähert sich dem Ende. Der Vertrag geht bis Mitte Juli. Da dann allerdings wieder ein sehr langer Urlaub folgen soll, habe ich um Verlängerung gebeten und hoffe nun, bis August an Bord bleiben zu können. „SEA CLOUD“ wird den ganzen Winter über nach Bremerhaven in die Werft gehen. Dort wird sie generalüberholt und für die nächsten 20 Jahre fit gemacht. Diese Ereignisse werfen bereits ihre Schatten voraus. Eine Auswirkung ist, dass die Einsatzplanung für die Crew und Offiziere aus dem Tritt gerät. Einige gehen auf Containerschiffe, andere müssen sich an Land etwas suchen oder sind in dieser Zeit im Urlaub. Mich haben sie für die Karibiksaison auf der „SEA CLOUD II“ eingeplant. Nach der Werftzeit soll ich dann wieder auf die „SEA CLOUD“ zurückkehren – wahrscheinlich als 2. Offizier. Mal sehen, wie die Brücke umgebaut wird. Viel neue Brückentechnik soll kommen. Ich bin gespannt. 

28.07.2010, Bodrum. Wir sind ein zweites Mal im Schwarzen Meer gewesen und nun auf dem Weg nach Piräus. Kapitän Todd fegt wie ein Zauberbesen durch das Schiff. Alles, was sich an Nachlässigkeiten eingeschlichen hat, wird bekämpft. Es wird ein totales Alkoholverbot für die Crew ausgesprochen und lautes Singen nach 23 Uhr verboten. Letzteres trifft vor allem die Filippinos hart, da sie doch so gerne in der Crewmesse beisammen sitzen und Karaoke singen. Über den künstlerischen Wert dieser Darbietungen lässt sich allerdings streiten. Und da manche ‚Kunstbanausen’ dies nur als Ruhestörung werten und behaupten, dabei nicht schlafen zu können, ist es nun zu später Stunde verboten. Wer das zu kontrollieren hat ist klar – der 3. Offizier, wer sonst… Mich stört es nicht, weil ich in 3 Tagen aussteige. Soll sich doch Patrick mit der Crew rumärgern. Einer von der Crew muss allerdings heute schon aussteigen. Unserem 4. Koch ist fristlos gekündigt worden. Er hatte als ihm Chief Mate den Landgang verwehren wollte, weil eine Mindestbesatzung immer an Bord bleiben muss, sich erst total betrunken und dann ein großes Messer aus der Kombüse geholt und war mit den Worten: „die bring ich um“ an Deck gestürmt. 

31.07.2010, Piräus. Die Sachen sind gepackt, die Kammer ist aufgeräumt, die Handover-Notes sind geschrieben. Um 10 Uhr kommt Patrick an Bord, um mich wieder abzulösen. Die Übergabe ist kurz. Es ist ja alles in Ordnung und er kennt sich ja aus. So stehe ich kurze Zeit später an der Gangway, um vom Agenten abgeholt und zum Flughafen gebracht zu werden. Fast 5 Monate waren es diesmal, und ich bin froh, dass ich nun eine Pause haben werde. Auch ein Job, der Spaß macht, ermüdet auf die Dauer und zu Hause ist doch auch schön. Mal sehen, wie die „SEA CLOUD“ aussehen wird, wenn ich sie wieder sehe.

Nov. 2010